Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und seine Partei Renaissance sind mit Platz drei hart abgestraft worden. Aus dem Befreiungsschlag der Neuwahlen und der erhofften Klarheit ist nichts geworden. Viele Wähler müssen sich beim zweiten Wahlgang am kommenden Sonntag zwischen einer rechtspopulistischen Partei, dem Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen, und einem links-grünen Wahlbündnis entscheiden, in dem die Linkspopulisten von ­Jean-Luc Mélenchon die Meinungshoheit und auch die Aussicht auf die meisten Sitze in der Nationalversammlung haben.

Absolute für RN?

„Die Schlacht zwischen Bardella und Mélenchon hat begonnen“, titelt der „Figaro“ und stellt die Porträts der beiden gegenüber: links ein griesgrämiger Linkspopulist, der weder Parteichef ist noch bei den Wahlen antritt, sondern auf „die Straße“ – also die Revolution – setzt, rechts der glatte Jordan Bardella, politischer Ziehsohn von Le Pen, der die Rolle des perfekten Schwiegersohns gut beherrschte, doch die des Premierministers scheint ihn etwas in Panik zu versetzen.

Nun fällt der Blick auf die nächste Etappe und die Frage, ob der RN eine absolute Mehrheit bekommen kann oder nicht. Dafür bräuchte es 289 Sitze, was im Augenblick schwer erreichbar scheint. Durchaus möglich ist es, dass der RN nah an diese Zahl kommen und ein, zwei Dutzend Abgeordnete der Konservativen auf seine Seite ziehen könnte, die sich bislang nicht wie ihr eigener Parteichef Éric Ciotti von Les Républicains (LR) abgespalten haben. Verlässliche Voraussagen der Sitzverteilung im 577 Plätze zählenden Palais Bourbon lassen sich tatsächlich erst ab heute Abend machen. Bis dahin müssen alle Parteien ihre endgültige Liste für die zweite Wahlrunde am kommenden Donnerstag abgeben. 76 Abgeordnete sind gleich im ersten Wahlgang gewählt worden, weil sie auf über die Hälfte der Stimmen kamen. Offen ist, wie die Verteilung der restlichen 499 Sitze aussieht.

Dreieckswahl macht es kompliziert

Durch die hohe Wahlbeteiligung haben sich in 306 Wahlkreisen nicht zwei, sondern drei Kandidaten qualifiziert. Man spricht von einer Dreieckswahl. Tendenziell wäre das ein Vorteil für den RN gewesen. Doch nachdem das links-grüne Wahlbündnis „Neue Volksfront“ seine schlecht platzierten Kandidaten aufgefordert hat, sich zurückzuziehen, ist die Zahl auf 138 Dreieckswahlen gesunken und es könnten noch weniger werden. Auch Macron hat Order gegeben, die allerdings weniger eindeutig ist als die der linken Volksfront. „Angesichts des RN ist die Stunde eines weiten, eindeutig demokratischen und republikanischen Zusammenschlusses gekommen“, ließ der Präsident wissen. Im Klartext heißt das: Jeder Kandidat entscheidet selbst – und jeder Wähler.

„Die Wahlen haben keine Klarheit gebracht. Sie haben den Wechsel, der 2027 mit den Präsidentschaftswahlen angestanden hätte, beschleunigt. Aber das erweist sich als Sackgasse“, resümiert der Politologe Dominique Reynié von Thinktank Fondation Pol. Er ist davon überzeugt, dass sich Rechts- wie Linkspopulisten derzeit keine absolute Mehrheit wünschen. „Sie sind davon ausgegangen, dass sich Macron bis 2027 langsam verbraucht hätte, dass die Konservativen am Boden liegen und die Parti Socialiste (PS) von Jean-Luc Mélenchon aufgefressen sein wird. Macron hat 2027 nun drei Jahre vorgezogen“, so Reynié. Sollte es keine absolute Mehrheit für den RN geben, würde das zu einer politischen Blockade führen. „Le Pen und Mélenchon sind da auf einer Linie, sie müssen sich dafür nicht einmal absprechen“, analysiert Reynié. „Sie hoffen beide darauf, dass die Blockade so groß wird, die Situation so unhaltbar, dass der Präsident zurücktritt, bevor er wieder die Möglichkeit hat, Neuwahlen anzusetzen.“

Kampf-Kohabitation

Im Elysée-Palast, so heißt es, bereitet sich der Präsident auf eine Kampf-Kohabitation vor. „Während einer Kohabitation liegt fast die gesamte Macht beim Regierungschef. Dem Präsidenten bleibt nicht viel“, resümiert Politologe Reynié. Über den Staatshaushalt wird das Parlament entscheiden, das gilt auch für die Ukrainehilfe. Die Karte, Neuwahlen anzusetzen, weil sich das Land in einer Sackgasse befindet, kann Macron auch nicht mehr spielen. Diese sind erst nach einem Jahr wieder möglich.