Viktor Orbán setzte ein schelmisches Lächeln auf. Es war kurz nach zwei Uhr Früh beim ersten EU-Gipfel zur Personaldebatte vor zwei Wochen und erst hatte er mit den wartenden Journalisten gar nicht reden wollen; bis sein Fahrzeugkonvoi bereit war, sprach er dann doch – Hände in den Hosentaschen, sehr entspannt. Soeben hatte er sich seine Zustimmung zu Mark Rutte als Nato-Generalsekretär durch Ausnahmeregelungen für Ungarn abkaufen lassen, der Rest der Topjobs sei ja ohnehin von den anderen (EPP, Sozialdemokraten, Liberale) bereits ausgemacht worden. Ob sich Rutte bei ihm entschuldigt habe, will einer der Reporter wissen. „Wofür?“, fragte Orbán zurück. „Dafür, dass er geboren wurde?“ Und gibt es eine Liebesbeziehung mit Giorgia Meloni? „Es ist kompliziert.“

Ungarn, das Land, das wie kaum ein anderes EU-Entscheidungen zu blockieren versuchte und demonstrativ gute Beziehungen zu Russland und China pflegt, jenes Ungarn, für das als einziges Land EU-Gelder in zweistelliger Milliardenhöhe wegen Verletzung der Rechtsstaatlichkeit auf Eis liegen, jenes Ungarn, das erst vor wenigen Tagen zur Strafzahlung von 200 Millionen Euro plus eine Million für jeden weiteren Tag für eine Verletzung des Asylrechts verdonnert wurde – jenes Ungarn übernimmt mit heutigem Tag den rotierenden Ratsvorsitz der EU.

Motto des Vorsitzes: „Make Europe Great Again“ (Mach Europa wieder groß), was selbstverständlich eine Anlehnung an Donald Trumps Motto „Make America Great Again“ ist. Kein europäischer Staatschef hofft so sehr wie Orbán darauf, dass Trump im Herbst ein zweites Mal an die Macht kommt. „MEGA“ also; wie sehr ist das Anlass zur Sorge? In den oberen Etagen des Wahlsiegers EVP winkt man ab: Orbán habe Spaß daran, die anderen zu „trollen“ heißt es da, solche Kleinigkeiten könne man bestenfalls belächeln.

Ungarn als „ehrlicher Vermittler“

Das EU-Parlament hatte letztes Jahr in einer Resolution den Rat aufgefordert, die Präsidentschaft Ungarns zu verschieben, immerhin befände sich Europa im nur alle fünf Jahre wiederkehrenden Wahljahr. Doch genau das könnte sich nun sogar als Vorteil herausstellen. Die bis gestern tätige belgische Ratspräsidentschaft konnte noch enorm viele Dossiers abschließen (wie etwa das in letzter Sekunde mit Österreichs Hilfe durchgebrachte Renaturierungsgesetz), nun dauert es bis zum Herbst, bis sich EU-Parlament und Kommission neu formiert haben. Bis dahin ruht der Betrieb weitgehend. Die Ungarn selbst präsentieren sich, so wie es sein soll, als „ehrlicher Vermittler“, der mit allen „aufrichtig kooperieren werde“, so der ungarische EU-Botschafter Bálint Ódor bei einem Pressebriefing in Brüssel. Zur Position Ungarns gegenüber Russland wollte er sich dabei aber nicht äußern. Der Ratsvorsitz kann die Themen vorgeben, doch im Programm findet sich das, was ohnehin schon auf der Agenda steht: Wirtschaftsaufschwung, Verteidigung und Sicherheit, Kampf gegen illegale Migration. Ein eigenes Kapitel ist der Erweiterung gewidmet, das bezieht sich aber vorwiegend auf den Westbalkan und weniger auf die Ukraine und Moldau – bekanntlich wurden erst letzte Woche die Beitrittsverhandlungen offiziell begonnen, gegen die Stimme Ungarns.

Auf mehr als 40 Seiten des Präsidentschaftsprogramms finden sich viele bekannte Themen, durchaus auch der Kampf gegen den Klimawandel oder Sozialpolitik. Detail am Rande: Selbst „Chancengleichheit und Gleichheit der Geschlechter“ („Gender Equality“) ist den Ungarn ein Anliegen. „Das entspricht alles dem europäischen Mainstream und ist sehr zurückhaltend“, befand dazu selbst der grüne Abgeordnete Daniel Freund, einer der heftigsten Kritiker Orbáns, in einem ARD-Interview. Bedenken äußerte er am ehesten bei der Unterstützung der Ukraine; mit ein Grund, warum Präsident Wolodymyr Selenskyj zum jüngsten EU-Gipfel vor drei Tagen persönlich nach Brüssel kam.