Alice Weidel und Tino Chrupalla sollen zwei weitere Jahre gemeinsam an der Spitze der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) stehen. Für Chrupalla sprechen sich bei einem Bundesparteitag am Samstag in Essen knapp 83 Prozent der Delegierten aus. Weidel holt knapp 80 Prozent Ja-Stimmen. Überraschende Kampfkandidaturen, wie sie in den Anfangsjahren der AfD üblich waren, gibt es bei der Neubesetzung der Spitzenpositionen diesmal nicht.

Chrupalla schlägt seine „geliebte“ Co-Vorsitzende als Kandidatin vor. Weidel nimmt den Ball auf und verkündet, sie wolle zusammen „mit meinem geliebten Tino“ in die Planung für den Bundestagswahlkampf gehen.

„Liebe Regierung, haut endlich ab!“

Begleitet wird die zweitägige Veranstaltung in Essen von massiven Protesten und Sitzblockaden. Während Weidel am ersten Tag vor allem gegen die etablierten Parteien und den Verfassungsschutz wettert, appelliert Chrupalla an seine Parteifreunde, bei der Aufstellung von Kandidatenlisten künftig mehr Sorgfalt walten zu lassen.

Deutschland sei „zu einem Ponyhof verkommen“, schimpft Weidel. An die Adresse der Ampel-Regierung sagt sie: „Liebe Regierung, haut endlich ab, macht den Weg frei für Neuwahlen!“

Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall - eine Einschätzung, die das Oberverwaltungsgericht in Münster im Mai bestätigt hat. Unter dem Applaus ihrer Parteifreunde schimpft Weidel: „Der Verfassungsschutz ist selbst zum Verfassungsfeind geworden, und er gehört in dieser Form abgeschafft.“

Das gerade in Kraft getretene neue Staatsbürgerschaftsgesetz mit verkürzten Fristen für die Einbürgerung werde die AfD im Falle einer Regierungsbeteiligung wieder einkassieren, sagt Weidel. Das hat auch die Union angekündigt. Die AfD-Vorsitzende sagt: „Deutschland schafft sich ab, wenn wir nicht in die Speichen greifen und diesem woken Hippie-Wahn endlich ein Ende bereiten.“

Weidel wählt in ihrer Eröffnungsrede eine Fußball-Metapher und spricht von einem „Trainer-Gespann“ in der Parteiführung. Vielleicht will sie damit Parteifreunden den Wind aus den Segeln nehmen, die vermuten, sie wolle den Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla zur Seite schieben und sich jetzt schon als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2025 in Stellung bringen. Ein Antrag, die Doppelspitze abzuschaffen, findet in Essen keine Mehrheit.

Polizisten bei Störaktion schwer verletzt

Linke Gruppen hatten angekündigt, den Delegierten die Zugänge zum Parteitagsgelände blockieren zu wollen. Tatsächlich haben einige von ihnen wegen der massiven Proteste und Blockaden Schwierigkeiten, pünktlich zur Grugahalle zu gelangen. Zehntausende AfD-Gegner ziehen am Vormittag durch die Straßen der Ruhrmetropole. Die Polizei, die mit mehreren Tausend Beamten im Einsatz ist, berichtet von teils gewalttätigen Störaktionen von Gegendemonstranten und mehreren Festnahmen.

Bei einer Störaktion sind zwei Polizisten schwer verletzt worden. Bisher unbekannte Täter hätten den beiden Bereitschaftspolizisten am Samstag gegen den Kopf getreten, als die Polizei einen Politiker durch eine Gruppe Störer geleitet habe, teilten die Ermittler mit. Noch am Boden liegend seien die Beamten mit Tritten traktiert worden. Sie wurden mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Sieben weitere Beamte seien bei dem Vorfall im direkten Umfeld der Grugahalle, wo die AfD ihren Parteitag abhält, leicht verletzt worden.

Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser verurteilte auf der Plattform X gewaltsame Aktionen. „Gegen Rechtsextremismus und Rassismus brauchen wir starke demokratische Kräfte und friedlichen Protest. Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen“, schrieb die SPD-Politikerin.

In einer Mitteilung heißt es, „Störer haben Einsatzkräfte angegriffen und versucht Sperrstellen zu durchbrechen.“ Die Polizei setzt auch Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Bis zu Mittag werden elf verletzte Polizisten gezählt.

Der Ampel-Koalition wirft Weidel mit Blick auf den Krieg in der Ukraine eine Eskalationsrhetorik vor. „Diese Herren Ampel-Minister sollten endlich Verantwortung übernehmen und selbst an die Front gehen, aber Hände weg von unseren Söhnen und Vätern“, sagte sie. Lauten Beifall erntet Weidel, als sie sagt, zu den Interessen Deutschlands und Europas gehöre, „dass die Ukraine nicht zur Europäischen Union gehört und zu Europa“.

Chrupalla wirbt in Essen unter Hinweis auf die zurückliegende Europawahl für mehr Professionalität seiner Partei. „Wir hätten 20 Prozent holen können“, sagt er. Seine Parteifreunde fordert Chrupalla auch zu mehr Sorgfalt bei der Auswahl von Kandidaten auf. „Wir müssen unsere Kandidaten künftig genauer ansehen“, sagt er. Zuversichtlich zeigt er sich mit Blick auf die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September. Der neue und alte Parteichef sagt: „Im Osten muss für uns die Sonne der Regierungsverantwortung aufgehen.“ Als nach der Wahl das Abstimmungsergebnis verkündet wird, sagt er: „Ich bin wirklich ein Stück weit überwältigt.“ In Riesa vor zwei Jahren hatte er mit rund 53 Prozent Ja-Stimmen nur eine knappe Mehrheit der Delegierten hinter sich bringen können. Weidel hatte damals 67,3 Prozent geholt.