Knapp sechs Wochen nach dem Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi bei einem Hubschrauberabsturz hat am Freitag die Wahl seines Nachfolgers begonnen. Innenminister Ahmad Vahidi erklärte in der Früh im Staatsfernsehen, die Wahllokale seien geöffnet. Die Abstimmung ist stark reglementiert, Kritiker wurden nicht zugelassen. Experten rechnen daher mit einer geringen Beteiligung der mehr als 61 Millionen Wahlberechtigten.
Nur konservative Kandidaten erlaubt
Nach dem Rückzug von zwei Kandidaten am Donnerstag treten noch vier Bewerber an. Die beiden wohl aussichtsreichsten sind Parlamentspräsident Mohammad Baqer Qalibaf und Saeed Jalili, der frühere Unterhändler bei den Atomverhandlungen. Beide gehören zur Gruppe der Hardliner in der Islamischen Republik. Als wichtigster Herausforderer gilt der moderate Politiker Massoud Pezeshkian.
Der neue Präsident könnte später möglicherweise auch Nachfolger des 85-jährigen Ayatollah Ali Khamenei und damit das nächste geistliche und politische Oberhaupt des Iran werden. Khamenei hat dafür Sorge getragen, dass Kandidaten, die seine erzkonservativen Ansichten teilen, den Wahlkampf dominieren. Der Präsident des Landes ist verantwortlich für das tägliche politische Geschäft. In allen wesentlichen Belangen hat aber der Oberste Führer letztlich das Sagen. Er und nicht der Präsident entscheidet über alle wichtigen Angelegenheiten des Staates, also auch die Atom- und Außenpolitik, und fungiert als Oberbefehlshaber der Streitkräfte.
Religiöser Führer ruft zu Beteiligung auf
Khamenei gab seine Stimme bereits - traditionell - in einer Hochsicherheitszone im Zentrum der Hauptstadt Teheran ab. In einer kurzen Rede forderte er die Nation zu einer regen Beteiligung auf. Um die „Richtigkeit und Ehrlichkeit des Systems der Islamischen Republik zu beweisen“, sei die Anwesenheit des Volkes „notwendig und unabdingbar“, sagte Khamenei nach der Stimmabgabe vor Reportern.
Die Wahllokale sind von 8.00 bis 18.00 Uhr Ortszeit (6.30 bis 16.30 Uhr MESZ) mit der Möglichkeit zu einer Verlängerung geöffnet. Mit ersten Ergebnissen wird am Samstag gerechnet.
Qalibaf, früherer General der mächtigen Revolutionsgarden, gilt als konservativer Machtpolitiker. Jalili vertritt radikalere Positionen. Er gehörte früh zum engsten Machtzirkel und arbeitete im Büro Khameneis. Unter dem umstrittenen früheren Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad (2005-13) war Jalili Chefunterhändler bei den internationalen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm. Bis zuletzt hatten Regierungsanhänger und Fundamentalisten gehofft, sich auf einen Spitzenkandidaten einigen zu können.
Moderater Kandidat hat Chancen
Als gefährlichster Herausforderer gilt der moderate Politiker und frühere Gesundheitsminister Massoud Pezeshkian. Im Wahlkampf kritisierte der Politiker die Kopftuchpolitik und warb mit bürgerlichen Positionen für Stimmen. Gleichzeitig bekundete Pezeshkian seine Loyalität gegenüber Khamenei, die mächtigen Revolutionsgarden und lobte den Angriff mit Drohnen und Raketen auf Israel als Stolz der iranischen Nation. Führende Stimmen aus dem Reformlager haben ihm die Unterstützung zugesagt. Bei einer hohen Wahlbeteiligung dürften Pezeshkians Chancen gar nicht schlecht sein. Insbesondere, wenn es in die Stichwahl geht und sich das iranische Volk zwischen einem Konservativen und Reformer entscheiden müsste.
Den Glauben an große innenpolitische Veränderungen haben die meisten Iraner, vor allem die jungen Menschen, verloren. Der Tod der jungen Kurdin Jina Masa Amini im Herbst 2022 entfachte landesweite Proteste gegen das islamische Herrschaftssystem. Die Wahlbeteiligung bei der diesjährigen Parlamentswahl erreichte ein Rekordtief von rund 40 Prozent. Bei Präsidentschaftswahlen im Iran gehen traditionell jedoch mehr Menschen wählen.
Wirtschaft wichtigstes Thema
Im Wahlkampf debattierten die Kandidaten vor allem über Wege, die enorme Wirtschaftskrise im Land zu bewältigen. Der Iran ist wegen seines umstrittenen Atomprogramms mit internationalen Sanktionen belegt und vom weltweiten Finanzsystem weitgehend abgeschnitten. Das Land benötigt Investitionen in Milliardenhöhe. Daneben diskutierten die Bewerber über innenpolitische Themen, Kulturpolitik und den Umgang mit dem Westen.
Das politisches System des Iran vereint seit der Revolution von 1979 republikanische und auch theokratische Züge. Freie Wahlen gibt es jedoch nicht: Das Kontrollgremium des Wächterrats prüft Kandidaten stets auf ihre Eignung. Eine grundsätzliche Kritik am System wird nicht geduldet, wie die Niederschlagung von Protesten in den vergangenen Jahren zeigte.