Wer wird was – das Feilschen um die Spitzenjobs in den europäischen Institutionen war das beherrschende Thema nach der Wahl. Beim derzeit in Brüssel stattfindenden Sommergipfel der EU-Länder ging es zunächst auch darum. Vor Beginn des Treffens mahnten mehrere Regierungschefs, darunter auch Österreichs Kanzler Karl Nehammer (ÖVP), eine rasche Entscheidung ein. Die EU müsse so schnell wie möglich wieder handlungsfähig sein. Die Debatte darüber wurde schließlich auf das Abendessen verlegt. Seit Tagen gilt das Personalpaket, nach erfolgter Einigung der Unterhändler, als fix: Ursula von der Leyen (EVP) soll Kommissionspräsidentin bleiben, der portugiesische Sozialdemokrat António Costa Ratspräsident werden und die estnische Premierministerin Kaja Kallas Außenbeauftragte. Kurz vor Mitternacht dann stieg weißer Rauch auf: Die Staats- und Regierungschefs hatten sich auf das Trio geeinigt. Von der Leyen muss allerdings noch eine Hürde überwinden, die Abstimmung im EU-Parlament Mitte Juli.
Doch im Rat ging es davor noch darum, eine größtmögliche Zustimmung zu finden. Heftige Kritik am Paket war von Ungarns Viktor Orbán gekommen, Unzufriedenheit zeigte auch die italienische Regierungschefin Georgia Meloni, die sich beim ersten Personalgipfel letzte Woche ausgegrenzt fühlte. Es dürfte also am Abend weniger um die Topjobs selbst, als eher um die „Nebengeräusche“ gegangen sein. Italien wünscht sich mindestens einen Vize-Kommissionschef, der französische Staatschef Emmanuel Macron hat einen Verbleib von Industrieminister Thierry Breton auf dem Wunschzettel und auch andere Länder dürften das eine oder andere Begehren auf den Tisch gelegt haben.
Neues Abkommen mit der Ukraine
Doch abseits der Personaldebatte beschäftigte sich der Gipfel mit weitreichenden anderen Themen. Zu Beginn schon wurde der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Ratsgebäude begrüßt, der danach auch noch im Nato-Hauptquartier mit Noch-Generalsekretär Jens Stoltenberg zusammentraf. Ratpräsident Charles Michel und Kommissionschefin Ursula von der Leyen unterzeichneten gemeinsam mit Selenskyj ein Sicherheitsabkommen zwischen der EU und der Ukraine. Dabei geht es unter anderem um die Verwendung der Erträge aus den eingefrorenen russischen Vermögenswerten. „Mit diesem Abkommen verpflichten sich zum ersten Mal alle 27 Mitgliedstaaten, die Ukraine unabhängig von internen institutionellen Veränderungen umfassend zu unterstützen“, so Selenskyj, der im Übrigen für die baldige Abhaltung eines weiteren Friedensgipfels eintrat. Ein weiteres Sicherheitsabkommen schloss die Ukraine mit Estland und Litauen.
Diskutiert wurde am Gipfel auch die Lage in Nahost, hier liegen die Positionen nach wie vor weit auseinander. Nehammer kündigte Einwände gemeinsam mit Tschechien und Deutschland gegen gewisse Formulierungen der Gipfelerklärung zu Nahost an: „Der klare Feind heißt Hamas, und die Terrororganisation ist für den Krieg verantwortlich.“ Nach Ansicht des irischen Premiers Simon Harris nutzt die EU dagegen noch nicht alle Hebel, die ihr zur Verfügung stünden, um „eine sofortige Waffenruhe herbeizuführen“.
Strategien für Europas Zukunft
Wesentlicher Punkt des Gipfels ist jedoch die strategische Ausrichtung für die kommenden Jahre. Die Staats- und Regierungschefs geben dabei die großen Linien vor, die allerdings im Entwurf der Gipfelerklärung noch sehr vage gehalten sind. Da ist etwa die Rede von einem „starken und sicheren Europa“, einem „erfolgreichen und wettbewerbsfähigen“ Kontinent. Im Vorfeld hatte Ursula von der Leyen einen langen Brief an die Staatenlenker geschrieben, in dem sie bei der Migration eine härtere Gangart und drastischere Maßnahmen versprach. Sie sieht im Bereich Verteidigung einen EU-weiten Bedarf in Höhe von 500 Milliarden Euro. Polen, Litauen, Lettland und Estland fordern die EU jetzt schon zur Errichtung einer Grenzanlage entlang der Grenze zu Russland und Weißrussland auf.