Warnungen vor möglichen Anschlägen gab es schon im Vorfeld der Reise von Thronfolger Franz Ferdinand nach Bosnien, das die Habsburgermonarchie verwaltete und schließlich 1908 annektierte. Trotzdem reiste der Habsburger mit seiner Gemahlin Sophie zu den Manövern in Bosnien. Ein Besuch von Sarajevo sollte die Reise abschließen. Das Wetter ist warm und schön, telegrafierte der Erzherzog an seine Kinder, bevor sie am 28. Juni 1914, einem Sonntag, zu dem Besuch in die bosnische Hauptstadt aufbrachen. Mit einem tödlichen Ende. Der 20-jährige Gavrilo Princip erschoss den Thronfolger und seine Frau.
Der Funke ließ das Pulverfass explodieren. Wann ein Krieg auf europäischem Boden ausbrechen würde, war längst nur eine Frage der Zeit. Nun war ein Auslöser da. Militärbündnisse waren geschmiedet. Auf der einen Seite das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn, dazu kam das Osmanische Reich, auf der anderen die Entente, Frankreich, Großbritannien, verbündet mit dem zaristischen Russland. Frankreich hatte mit den Deutschen nach der Niederlage von 1871 und dem Verlust von Elsass-Lothringen eine Rechnung offen, das Reich des unberechenbaren Kaiser Wilhelm konkurrierte mit den Engländern als See- und Kolonialmacht, Österreich-Ungarn und Russland matchten sich am Balkan. Der Generalstabschef der k. u. k. Armee, Franz Conrad von Hötzendorf, wollte schon Jahre zuvor einen Präventivkrieg gegen Serbien wie auch Italien führen. Jetzt sah man in Wien Serbien als Drahtzieher des Attentats auf frischer Tat ertappt und war entschlossen, den Nachbarn auf dem Balkan mit Krieg niederzuzwingen. Ein Krieg, der nicht zuletzt das schon zerbröckelnde Vielvölkerreich Kaiser Franz Josephs noch einmal vor dem Untergang retten sollte.
Österreich-Ungarn erklärt Serbien den Krieg
Die Militärbündnisse griffen. Die Deutschen erklärten Österreich-Ungarn uneingeschränkte Unterstützung. Kaiser Franz Joseph verfiel in Fatalismus, als er am 28. Juli 1914 in Bad Ischl, einen Monat nach der Ermordung des Thronfolgerpaares, die Kriegserklärung an Serbien unterschrieb: „Wenn wir schon zugrunde gehen müssen, dann wenigstens anständig.“ Binnen weniger Tage war Europa Kriegsgebiet. Der Krieg begeisterte. In Berlin jubelten die Menschen, in Paris ebenfalls, auch in London.
Im Jahr 2012 analysierte der australische, in Cambridge lehrende Historiker Christopher Clark mit seinem epochalen Werk „Die Schlafwandler“ den Beginn dieses Krieges, machte er die Schuld für diese Urkatastrophe Europas nicht nur an Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich fest. Clark beschreibt, sämtliche Generalstäbe hatten diesen Krieg längst geplant, tappten dann aber eher ahnungslos, wie Schlafwandler, in diesen Weltkrieg hinein. Nicht ahnend, welche Ausmaße dieser Krieg nehmen werde. „Bis Weihnachten seid ihr wieder bei Muttern“, hieß es bei den Deutschen.
Ein neuer Weltkrieg – auch heute denkbar?
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine, die immer massiver gewordene westliche Unterstützung des Westens für diesen angegriffenen Staat und die gleichzeitig auch massiveren Drohungen von Russlands Diktator Wladimir Putin kommen mancherorts Befürchtungen auf, man könnte wieder in einen Krieg plumpsen. Wie damals, im Sommer 1914. „Geschichte wiederholt sich nicht, weil man sie schon kennt. Es gibt Ähnlichkeiten, ähnliche Ausgangssituationen zwar, aber unterschiedliche Akteure und unterschiedliche Interessen. Es findet sich kein Szenario, von dem man sagen kann, es sei eine Wiederholung“, sagt Helmut Konrad, Doyen der österreichischen Zeithistoriker.
Die Strategen in den Generalstäben planten einen Krieg, der auf Erfahrungen vergangener Kriege beruhte, die in der Regel binnen weniger Monate nach einigen Schlachten im Feld beendet waren. Niemand ging davon aus, dass dieser Krieg zu einem Stellungs- und Abnützungskrieg von jahrelanger Dauer, mit technischen Neuerungen wie dem Einsatz von Flugzeugen, von Panzern und auch mit einem Einsatz von Giftgas werden könnte. 110 Jahre später stellt sich die Situation anders dar. Man kennt die militärischen Potenziale der anderen. Man weiß, dass ein Atomkrieg keine Sieger kennt. Konrad verweist auch noch auf andere Indikatoren: „Wir haben die Informationsgesellschaft, die es 1914 nicht gab, man verfügt heute über Kenntnisse von Strukturen und Entwicklungen, die damals nicht vorhanden waren.“
Ein gesellschaftlicher Unterschied manifestiert sich in unseren Tagen auch zu 1914 – nirgendwo findet sich eine allgemeine Kriegsbegeisterung. Zeithistoriker Konrad sagt dazu: „Natürlich erleben wir zwar auch eine gewisse Kriegsgefahr, aber ein schlafwandlerisches Hineinschlittern kann nicht geschehen. Aus der Geschichte weiß man, was ein moderner großer europäischer Krieg, ein Weltkrieg, bedeutet. Insofern hat die Geschichte etwas Gutes – auch wenn man nicht immer aus ihr lernt, so nimmt man doch wenigstens einige Lehren mit.“