Grossbritanniens Regierungschef Rishi Sunak, dessen Konservativer Partei alle Meinungsumfragen eine schwere Niederlage bei den bevorstehenden Unterhauswahlen prophezeien, will sich nicht geschlagen geben. Sunak hofft, in der ihm verbleibenden letzten Woche des Wahlkampfs das Ruder noch herumreissen oder wenigstens das Schlimmste für seine Partei verhindern zu können.

Historische Niederlage droht

Die Wahl findet am 4.Juli, dem Donnerstag nächster Woche, statt. Erwartet wird, dass die oppositionelle Labour Partei die seit 14 Jahren regierenden Konservativen auf spektakuläre Weise ablöst bei diesen Wahlen. Letzte Umfragen geben Labour 42 Prozent der Stimmen, während die Tories nur auf etwa 20 Prozent kommen. Nigel Farages Rechtspopulisten – der Partei „Reform UK“ – werden 16 Prozent vorausgesagt, den Liberaldemokraten 12 Prozent und den Grünen 6 Prozent.

Wegen des britischen Mehrheitswahlrechts, das keine Listenwahl und keinen Proporz kennt, würde ein solches Ergebnis Labour aber zwischen 375 und 500 Sitzen im House of Commons bescheren, also eine klare bis überwältigende Mehrheit im 650 Sitze umfassenden Unterhaus. Die Konservativen kämen diesem Kalkül zufolge höchstens noch auf 200, womöglich aber auch auf nur 50 Sitze. Das hängt unter anderem davon ab, in wie vielen Wahlkreisen rund ums Land „Reform UK“ den Konservativen Stimmen abnimmt und so deren Sieg vor Ort vereitelt, und in welchem Maß Wähler des progressiven Lagers taktisch wählen, also der jeweils stärksten ihrer Parteien in bestimmten Wahlkreisen ihre Stimme geben – und natürlich davon, wie viele Wähler beider Lager letztlich daheim bleiben, was niemand vorauszusagen wagt.

In der Hoffnung aber, seine Landsleute noch in letzter Minute von der Wahl Labours abbringen beziehungsweise sie zum Verbleib bei den Tories bewegen zu können, ist Premier Sunak jetzt in die abschliessende Wahlkampfwoche gezogen. Bei der letzten Fernseh-Debatte zwischen ihm und Oppositionschef Sir Keir Starmer am Mittwochabend attackierte er den Labour-Vorsitzenden noch einmal mit aller Macht.

Unter anderem warf er Starmer vor, der Wählerschaft „nicht die Wahrheit“ zu sagen über die Steuerpläne Labours, und die Briten in Sachen versprochener Eindämmung des Immigrations- und Flüchtlingsstroms „zum Narren zu halten“. Allein schon Labours Pläne zur Rückführung abgelehnter Migranten in Länder wie Iran oder Afghanistan gingen nicht auf, meinte der Premierminister: „Wenn Starmer Regierungschef wird, laufen all diese illegalen Migranten hier auf unseren Straßen herum.“

Eindringlich warnte Sunak sein Publikum vor der Entscheidung, bei der kommenden Wahl „der Labour Party die Verfügung über unsere Grenzen auszuhändigen“ und so alle Kontrolle über die Geschicke der Nation leichtfertig „preiszugeben“. Siebzehn mal, auch in Bezug auf Wohlfahrtsstaat und Wohlstand, benutzte er das Wort „surrender“. Jedes mal appellierte er an die Nation, „nicht die Waffen zu strecken“ vor einer Labour-Regierung, die Schlimmes im Schilde führe fürs Vereinigte Königreich.

Starmer seinerseits warf Sunak vor, mit aus der Luft gegriffenen und bereits widerlegten Zahlen über Labours Steuerpläne „Lügen“ zu verbreiten. Generell suchte der Labour-Vorsitzende bei der Debatte, Haltung zu bewahren und mit Gegenattacken sparsam umzugehen. Beifall aus dem Publikum erhielt er, als er Sunaks Angriffe kommentierte mit den Worten: „Wenn Sie mehr auf die Menschen überall im Land hören würden, wären Sie vielleicht nicht so wirklichkeitsfremd.“

Starmer wirkte „staatsmännisch“

Anschließend veröffentlichten Blitzumfragen war zu entnehmen, dass Starmer in Sachen „staatsmännischer“ Haltung punktete, während Sunak mit seinen verbalen Hieben eine Reihe von Treffern landete. Der Premier habe sich nach Ansicht vieler Zuschauer „besser als erwartet“ geschlagen, stimmten die meisten Kommentatoren zu. Dass das noch etwas am Wahlausgang ändert, wird aber allgemein bezweifelt.

Scharfe Reaktionen löste derweil aus, dass die Konservativen der „Surrender“-Rhetorik Sunaks ein neues Wahlplakat folgen ließen, das eine Familie mit erhobenen Händen vor einer im gleißenden Licht unsichtbaren Invasions-Truppe zeigt. „Kapituliert nicht vor der Labour Party, wo es um die Zukunft eurer Familie geht!“ lautet die Parole. Das sei ja wohl „ebenso lächerlich wie infam“, fanden Sprecher der anderen Parteien.