Es geschah im Bukowski-Grill an der Karl-Liebknecht-Straße im Zentrum Jekaterinburgs. Am 29. März 2023 schoben mehrere Zivilbeamte Evan Gershkovich, über dessen Kopf ein Pullover gezogen war, aus dem Lokal in einen Kleinbus. Der Korrespondent des Wall Street Journals hatte das Steak-Haus bei seinen letzten beiden Recherchereisen in die Uralregion mehrfach besucht. Und glaubt man der Anklage, saß der US-Amerikaner nicht allein an einem der Tische vor der Backstein-Innenwand, an der ein großes Porträt des US-Dichters Charles Bukowskis prangt.
Hier sollen ihn FSB-Geheimdienstler in Flagranti erwischt haben, als er – offenbar von einem Unbekannten - Geheimmaterial über die Arbeit der Panzerfabrik „Uralwagonsawod“ im benachbarten Nischnij Tagil entgegennehmen wollte. Gershkovich habe im Auftrag der CIA gehandelt und sorgfältig alle Regeln der Konspiration eingehalten, heißt es aus der Staatsanwaltschaft. Seine Schuld sei aber eindeutig dokumentiert.
Keine Beweise vorgelegt
Nach 14 Monaten Untersuchungshaft kommt Gershkovich nun am heutigen Dienstag wegen Spionage vor das Swerdlowsker Gebietsgericht. Gershkovich selbst bestreitet jede Schuld, die russische Seite hat im bisherigen Verfahren auch noch keinerlei Beweise öffentlich gemacht. Seine Kollegen, mit denen er sich vor seinen Jekaterinburg-Reisen beriet, erzählen, er habe sich hauptsächlich für die Stimmung in der Region nach einem Jahr Kriegsspezialoperation interessiert, wollte auch ein Rekrutierungsbüro der Wagner-Söldner besuchen, außerdem versuchen, vor den Fabriktoren der Panzerfabrik „Uralwagonsawod“ mit Arbeitern zu reden.
Gershkovichs Verurteilung gilt als sicher. „Unter Putin“, sagt Rechtsanwalt Jewgenij Smirnow, der als Experte für Verratsprozesse gilt, „hat es bei Spionageprozessen keinen einzigen Freispruch gegeben.“
Austausch gegen Tiergarten-Killer
Aber auch wenn Gershkovich eine sehr hohe Haftstrafe erhält kann er auf Freiheit hoffen. Denn der 32-Jährige gilt längst als Wladimir Putins Faustpfand für Tauschangelegenheit. In einem Interview mit dem US-Journalisten Tucker Carlson erklärte der russische Präsident höchstpersönlich, die Geheimdienste beider Seiten verhandelten über die Bedingungen. In einem der mit den USA verbündeten Länder säße ein Mensch im Gefängnis, der aus patriotischen Motiven in einer europäischen Hauptstadt einen Banditen liquidiert habe. Damit meinte Putin ganz offenbar den FSB-Killer Wadim Krassikow, der 2021 in Berlin wegen der Ermordung eines früheren tschetschenischen Feldkommandeurs zu lebenslanger Haft verurteilt worden war.
Sollten sich Russland und der Westen hinter den Kulissen tatsächlich auf einen Austausch einigen, hat das laut Anwalt Smirnow weniger Einfluss auf das Strafmaß im Prozess gegen Gershkovich als auf sein Tempo. „Dann dürfte die Gerichtsverhandlung sehr schnell über die Bühne gehen.“ Die Verurteilung sei die Voraussetzung für die Begnadigung, mit der man einen Austausch einleiten könnte.