Es herrscht kein Zweifel über die Helden des Tages. In der Ostkaukasusrepublik Dagestan häuften sich den Sozialen Netzwerken Videos mit roten Nelken vor gerahmten Fotos der 15 gefallenen Ordnungshüter. Ärztinnen erzählten, wie verwundete Polizisten sich nicht behandeln lassen, sondern in den Kampf zurückkehren wollten. Verletzte Polizisten erklärten aus dem Krankenbett, sie hätten keine Zeit für Angst gehabt.
Kirche und Polizeiwache attackiert
Am Sonntag hatten islamistische Terroristen in Machatschkala, der Hauptstadt Dagestans, eine Kirche und eine Polizeiwache attackiert. In Derbent, der ältesten Großstadt Russlands, stürmten sie eine andere Kirche und eine Synagoge. Dabei drangen sie zum russischen Pfingsten auch in das Haus des christlich-orthodoxen Geistlichen Nikolaj Kotelnikow ein, erschossen ihn und zündeten die Kirche an. Danach verbarrikadierten sich die Angreifer in Wohnhäusern und lieferten sich Feuergefechte mit der Polizei. Neben den getöteten Sicherheitskräften kamen auch mindestens drei Zivilpersonen ums Leben, sechs Terroristen wurden getötet.
Auch Sündenböcke wurden schon gefunden: Unter den getöteten Islamisten waren laut Interfax zwei Söhne und ein Neffe des Lokalpolitikers Magomed Omarow, Oberhaupt des Gebirgsbezirks Sergokalinsk und Mitglied der Kremlpartei „Einiges Russland“. Er wurde nach Angaben des Portals RBK festgenommen und aus der Partei ausgeschlossen. Er soll zugegeben haben, dass er vom Islamismus seiner Söhne wusste, habe aber keinen Kontakt mehr zu ihnen. Unter den toten Islamisten befand sich außerdem Ali Sakarigajew, Mitglied der kremltreuen Partei „Gerechtes Russland.“ Waren es frühere jungen Männer aus den armen Bergdörfern, die Polizeistationen attackierten, so kommen die Terroristen, die es auf alle Andersgläubigen abgesehen haben, mittlerweile aus dem Establishment der Kaukasus-Republik.
Der dagestanische Duma-Abgeordnete Abdulchakim Gadschijew schob die Schuld spontan auf „Geheimdienste der Ukraine und der Nato-Staaten“. Die hatte der Kreml, der seit Jahren kein Rezept gegen den islamistischen Terror findet, schon im März für das Blutbad in der Moskauer Konzerthalle Krokus-City mit mehr als 140 Toten verantwortlich gemacht. Aber wie damals feierte auch jetzt ein dem Islamischen Staat nahestehendes Portal die „Brüder im Kaukasus“ für ihre Bluttaten.
Im vergangenen Oktober hatte es wegen der israelischen Angriffe im Gazastreifen heftige antisemitische Proteste in Dagestan gegeben. Im Februar 2018 waren bei einem Angriff auf eine Kirche in Kisljar vier Menschen getötet worden. Auch diesmal nahmen die Terroristen nur Christen, Juden und Polizisten unter Feuer. „Von westlichen Geheimdiensten angeheuerte Killer hätten versucht, möglichst viele Passanten zu töten“, sagt ein anonymer Journalist in Machatschkala. „In Dagestan ist sowas kaum denkbar, weil die Familien der Täter dann Blutrache von allen Verwandten der Opfer fürchten müssten.“ Aber ganz offenbar mutiere der Islamismus. Früher hätten junge Männer aus armen Bergdörfern Polizisten attackiert. Jetzt kämen die Täter auch aus dem dagestanischen Establishment und hätten es vor allem auf Andersgläubige abgesehen.
„In Dagestan wächst der Glauben an den Islam“
„In Dagestan wächst der Glauben an den Islam, aber nicht die religiöse Bildung der Gläubigen“, sagt die Soziologin Saida Siraschudinowa dem Portal TV-Doschd. Außerdem fehle es auch hier an realer Kooperation zwischen muslimischer, christlicher und jüdischer Geistlichkeit. Wladimir Putins Parolen über Harmonie und Einheit der Völker und Konfessionen Russlands wirken fadenscheinig.
Ein Dagestaner Telegramkanal publizierte am Sonntag ein Video, das zeigt, wie Polizisten zwei Männer am Badestrand von Machatschkala überwältigen, während ängstliche Eltern ihre Kinder in Sicherheit bringen. Auch hier waren die Täter wohl nicht auf ein Blutbad aus. Aber die Republik am Kaspischen Meer dürfte nach dem Anschlag ebenfalls als Touristenziel an Popularität verlieren.