Das EU-Renaturierungsgesetz wurde kurz vor dem endgültigen Beschluss auf ähnliche Weise ausgehebelt wie das Ende des herkömmlichen Verbrennermotors: Alles war fertig, in den sogenannten Trilogen hatte es eine Einigung zwischen EU-Parlament, Kommission und Rat gegeben, das EU-Parlament stimmte final zu und dann fehlte bloß noch die Zustimmung des Rates, in dem die Fachminister der Mitgliedsländer sitzen – und die gab es dann plötzlich nicht. Vor allem die EVP, zu der auch die ÖVP gehört, meldete auf einmal Bedenken an. In der Folge wurden mehrere EU-Länder skeptisch. Im Rat braucht es eine qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der EU-Staaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren), und die war mit einem Mal wieder in Gefahr. Zuletzt ergab die Mathematik, dass die Entscheidung von einem einzigen Land, also auch Österreich, abhängen würde.

Auf der Tagesordnung des heutigen Ministerrates schien eine neuerliche Abstimmung deshalb zunächst nicht auf; sie kam jedoch in letzter Sekunde auf die Agenda. In Brüssel hieß es dazu, der belgische Ratsvorsitz würde beim Ministerfrühstück vor dem Treffen die Lage abklopfen: Tut sich etwas, hat also ein Land seine Meinung geändert, könnte der Punkt bleiben und eine entscheidende Abstimmung stattfinden. Herrscht jedoch Stillstand, würde nichts passieren.

Botschafter gingen ohne Ergebnis auseinander

Am Freitag trafen sich wie üblich die EU-Botschafter in ihrem Gremium, um das Ratstreffen vorzubereiten, und selbst zu diesem Zeitpunkt war nicht klar, wie sich Österreich verhalten würde. Offen blieb auch die Frage, ob nicht auch inzwischen ein weiteres Land – die Rede war von der Slowakei – kalte Füße bekommen und die Zustimmung ebenfalls infrage stellen würde. Nächster Unsicherheitsfaktor war Polen, das nach dem Regierungswechsel wieder zu den EVP-Ländern gehört. Othmar Karas, Erster Vizepräsident des EU-Parlaments, trat gestern in der ORF-Pressestunde erneut für das Gesetz ein und erinnerte daran, dass das EU-Renaturierungsgesetz eine Mehrheit im Europaparlament erhalten habe. Das Gesetz sei „Teil der Erfüllung unserer Klimaziele“ und eine Antwort auf Umweltkatastrophen, Hochwasser und Murenabgänge. Das Renaturierungsgesetz habe sich radikal verändert. Der EU-Kommissionsvorschlag sei überbordend und bürokratisch gewesen, das EU-Parlament habe aber über 136 Änderungen durchgesetzt. Das Gesetz habe nichts mit Enteignung und dem Verlust von Lebensmittelsicherheit zu tun, sagte Karas zu den Argumenten von Kritikern.

Die Belgier, die den Abschluss dieses wichtigen offenen Dossiers noch gerne in ihrer Präsidentschaft feiern würden, haben nun für den heutigen Gipfel eine neue Regelung getroffen. So soll es vorerst nicht eine einfache Abstimmung geben, sondern eine öffentliche Aussprache zum Thema. Vermutlich will man dabei die Erfolgsaussichten ausloten. Erst danach ist klar, ob das finale Votum noch am selben Tag stattfindet oder doch auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wird – dann würde der Krimi um das umstrittene Gesetz um ein neues Kapitel erweitert werden.