Spanien, das nach Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft viertwichtigste EU-Land, erweist sich als Bollwerk gegen den europaweiten Vormarsch der Rechtspopulisten. Der Hochrechnung des öffentlichen Rundfunksenders RTVE von Sonntagabend zufolge liegen die beiden europafreundlichen Traditionsparteien, Sozialdemokraten (PSOE) und Konservative (PP), mit weitem Abstand vor der Rechtspartei Vox. Die Konservativen gewannen demzufolge die Wahl mit etwa 32 Prozent. Die Sozialdemokraten folgen knapp dahinter mit rund 30 Prozent.
Die europaskeptische Vox-Partei legte zwar zu, aber – verglichen mit dem Aufstieg der Rechtspopulisten in anderen EU-Ländern – auf relativ niedrigem Niveau: Vox erhielt laut Hochrechnung 10,4 Prozent der Stimmen (2019: 6,2 Prozent). Damit bleiben die Rechtsnationalen hinter ihrem Abschneiden in der spanischen Parlamentswahl vor einem Jahr zurück, in der sie noch 12,4 Prozent erhielten. Vox will den Einfluss der EU beschneiden. Wichtige europäische Ziele, wie Klimaschutz, Energiewende oder Migrationspakt werden abgelehnt.
Bedingte Freude unter den Gewinnern
Spaniens konservative Volkspartei (PP) konnte sich allerdings über den prognostizierten Sieg nur bedingt freuen. Sie blieb hinter den von Parteichef Alberto Núñez Feijóo geschürten hohen Erwartungen zurück. Laut Hochrechnung erzielten die Konservativen 32,4 Prozent. Dies ist gegenüber 2019, als die PP auf 20,2 Prozent kam, zwar ein erheblicher Zuwachs. Dieser erklärt sich allerdings vor allem daraus, dass die PP die untergegangene konservativ-liberale Partei Ciudadanos (Bürger) absorbierte, die 2019 auf 12,3 Prozent gekommen war. Es handelt sich also eher um eine Verschiebung im bürgerlichen Lager und nicht um einen konservativen Erdrutsch.
Die sozialdemokratisch orientierte Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) von Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez landete laut Hochrechnung mit 30,2 Prozent auf dem zweiten Platz. Damit haben sich die Sozialdemokraten gegenüber 2019, als sie 32,9 Prozent holte, leicht verschlechtert; sie hatten aber höhere Verluste befürchtet. Der überzeugte Europäer Sánchez regiert in Spanien seit sechs Jahren mit einer Mitte-links-Minderheitsregierung.
Kleinparteien feiern Erfolge
Auch in Spanien schreitet die politische Fragmentierung voran. Der Prognose zufolge werden am linken Rand die beiden kleinen Parteien Sumar (6,3 Prozent) und Podemos (4,4 Prozent) im EU-Parlament vertreten sein. Am rechten Rand zieht neben Vox die neugegründete rechte Protestpartei SALF (3,9 Prozent) ins Europaparlament ein. Zudem werden die Regionalparteien aus dem Baskenland, Katalonien und von den Kanaren mit einigen Abgeordneten vertreten sein.
Spanien ist ein sehr europafreundliches Land. Laut EU-Barometer fühlt sich die große Mehrheit als Europäer. Diese außergewöhnlich große Europaakzeptanz spiegelt sich aber nicht in der Wahlbeteiligung, die seit Spaniens EU-Beitritt 1987 tendenziell abnimmt. Es wurde nun eine Beteiligung von etwa 50 Prozent erwartet. 2019, als die Europawahl mit der spanischen Kommunalwahl zusammenfiel, gingen 60,7 Prozent der berechtigten Bürger zur Wahl.
Ralph Schulze, aus Madrid