Omaha Beach hat sich nicht verändert. Er ist derselbe Anblick, Jahrestag um Jahrestag, Jubiläum nach Jubiläum. Unendliche Weite, ein kilometerlanger, goldener Sandstrand, den nur der ewige Rhythmus von Ebbe und Flut schmaler oder breiter sein lässt. Geblieben sind, 80 Jahre nach der Normandie-Landung, die Erinnerung an „bloody Omaha“ - den blutigen Strand - und an die 4414 Soldaten, die an diesem ersten Tag der Befreiung Europas von der Naziherrschaft gestorben sind.

Am eindrücklichsten verkörpert wird ihr Opfer durch das endlose Feld weißer Kreuze des amerikanischen Soldatenfriedhofs, der oberhalb des Landungsstrandes liegt. Geblieben ist auch das Bewusstsein der Opferbereitschaft junger Soldaten aus den USA, Kanada, Großbritannien und Teilen des Commonwealth, die bereit waren, für die Freiheit Fremder zu sterben.

Demokratie ist es wert, für sie zu sterben

„Why“, warum, fragte US-Präsident Ronald Reagan die noch zahlreich anwesenden Soldaten bei der ersten großen Gedenkfeier vor 40 Jahren? „Why did you do it“, lautete Reagans eindringlich Frage an die Menge? Nach kurzer Stille gab er die Antwort selbst: „Weil die Demokratie es wert ist, für sie zu sterben.“

Die Verteidigung von Freiheit und Demokratie steht seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine wieder auf der Tagesordnung. Reagans Satz ist 40 Jahre später in den Köpfen der mehr als 20 Staats- und Regierungschefs präsent, die der Einladung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gefolgt sind, um in einer internationalen Zeremonie den 80. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie mit einem Sondergast zu begehen, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. „Die Alliierten haben damals Europas Freiheit verteidigt, die Ukrainer tun es heute. Damals galt Geschlossenheit, und wahre Geschlossenheit kann auch heute gelten“, schrieb Selenskyj bei seiner Ankunft in der Normandie auf dem Netzwerk X.

US-Präsident Joe Biden versicherte, dass Kiew mit dieser Geschlossenheit weiter rechnen könne. „Die Ukraine wurde von einem Tyrannen überfallen und wir werden sie niemals im Stich lassen“, so Biden. Freiheit sei es wert, verteidigt zu werden. „Wir werden das nicht geschehen lassen, wir können dem Diktator nicht erlauben, zu gewinnen“, so Biden während der amerikanischen Zeremonie in Colleville-sur-Mer, bei der er auch an die Gründung der Nato erinnerte und betonte, dass 50 Alliierten geschlossen hinter der Ukraine stünden.

Die internationale Zeremonie vor Omaha Beach war der Höhepunkt der Feierlichkeiten, die schon am Vortag begonnen haben. Rund 250 Veteranen sind in die Normandie gereist, 97 bis 107 Jahre alt, die letzten noch lebenden Zeitzeugen. Neben dem amerikanischen Präsidenten und Bundeskanzler Olaf Scholz, neben dem britischen Premierminister Rishi Sunak und Prinz William ist die Anwesenheit des ukrainischen Präsidenten Selenskyj ein starkes Signal Richtung Moskau.

„Wir sind alle Kinder der Normandielandung“, sagte Gastgeber Macron mit Blick auf Ehrengast Selenskyj nach einer mit großen Gesten, Texten, Musik und Paraden bewegend inszenierten Feier. Seine Anwesenheit symbolisiere, dass der Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung nicht vorbei sei. „Wir danken dem ukrainischen Volk für seinen Mut“, sagte der Franzose und appellierte daran, auf der „Höhe derjenigen zu sein, die hier gelandet sind“. Bevor die Zeremonie begann, hatte Selenskyj vor dem Rollstuhl einzelnen Veteranen gekniet und auf Englisch das Gespräch gesucht, wie dieser Videoausschnitt zeigt:

Keine Einladung für Putin

Russlands Präsident Wladimir Putin hat dieses Jahr dagegen keine Einladung erhalten. Zum 70. Jahrestag im Juni 2014, wenige Wochen nach dem Überfall auf die Krim und dem Kriegsbeginn im Donbass, war Putin noch zu Gast in der Normandie. Zehn Jahre später ist die Lage eine andere. Das Normandie-Format, das damals initiiert wurde, brachte keine Erfolge, die Minsker Verträge sind gescheitert. Für eine Einladung Russlands seien die Voraussetzungen „angesichts der historischen Resonanz der Normandie-Landung mit dem gerechten Kampf der ukrainischen Nation“ nicht erfüllt gewesen, hieß es im Vorfeld aus dem Elysée-Palast. Allerdings hatten wenige Wochen zuvor Macrons diplomatischen Berater die Einladung einer russischen Delegation ohne Putin noch ins Auge gefasst. „Im Gegensatz zum Kreml betreibt Frankreich keinen historischen Revisionismus“, hieß es in einer Mitteilung der „Mission Liberté“, dem Organisationskomitee der Feierlichkeiten.

Damit hatte Macron mal wieder seine Freunde vor den Kopf gestoßen. In Washington und London war man nicht amüsiert über den französischen Alleingang. „Russland als Vertreter der sowjetischen Völker einzuladen, bedeutet, aus Russland den Erben des Kampfes gegen den Nationalsozialismus an der Ostfront zu machen“, warnte ein Kollektiv französischer Historiker in einem Meinungsbeitrag in Le Monde.

Scharf hatte Moskau auf die Erwägung der Franzosen reagiert, eventuell militärische Ausbilder in die Ukraine zu schicken. Macron hat diese Frage während der Feierlichkeit der Normandie-Landung jedoch nicht angesprochen. Es heißt, er suche nach einer Koalition der Willigen. Dazu hat es neben der Feierlichkeiten womöglich Gespräch gegeben. Am Freitag trifft Selenskyj Vertreter der Rüstungsindustrie in Paris. Auch ein längeres Gespräch mit Macron steht auf der Agenda. Am Samstag empfängt Macron US-Präsidenten zum offiziellen Staatsbesuch.

Auch die Feierlichkeiten in der Normandie werden am Freitag fortgesetzt. Wie ein drohender Schatten liegt über ihnen die kommende US-Wahl. Denn sollte Donald Trump im November erneut zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt werden, dürfte es mit der westlichen Geschlossenheit angesichts des russischen Tyrannen bald wieder vorbei sein.