Fällen die Briten bei der kommenden Unterhauswahl ein Urteil über die vergangenen vierzehn Jahre unter Führung der Konservativen? Oder suchen sie nach dem besten Premierminister für die kommenden Jahre in einer ungewissen Zukunft? Vor diese Alternative sahen sich Millionen von TV-Konsumenten am Dienstagabend gestellt, als der Kommerzsender „ITV“ aus Salford bei Manchester die erste Live-Debatte des Wahlkampfes „Sunak vs. Starmer“ sendete.
Wie erwartet sparte der Labour-Herausforderer Keir Starmer nicht mit Erwähnungen der unglückseligen Vorgängerin von Amtsinhaber Rishi Sunak: Liz Truss habe die Wirtschaft ruiniert. Seinem Kontrahenten warf er mehrere nicht eingehaltene Versprechungen in der Einwanderungs- und Gesundheitspolitik vor. Nun müsse Schluss sein mit dem „Chaos und den Zerwürfnissen der Konservativen“. Zwar habe er keine Zaubertricks anzubieten, dafür aber „praktische, durchdachte Pläne zur Veränderung des Landes“.
Starmer wirkte im gläsern-sterilen Studio vor mehreren hundert höflich klatschenden Zuschauern zunächst hochnervös, klammerte sich an vorgestanzte Formulierungen, ließ aggressive Angriffe von Sunak unbeantwortet, wozu die hilflose Moderatorin Julie Etchingham mit tolpatschigen Interventionen zur falschen Zeit beitrug. Im Lauf der gut einstündigen Debatte gewann der 61-Jährige an Selbstsicherheit. Besser als Sunak gelang es ihm, eine persönliche Verbindung mit den Fragestellern herzustellen.
Die Aufgabe des Tory-Chefs bestand nicht zuletzt darin, seiner eigenen Partei Hoffnung zu machen. Schließlich haben die Konservativen zwei furchtbare Tage hinter sich: Zunächst kehrte der Nationalpopulist Nigel Farage an die Spitze seiner Reform UK-Bewegung zurück, mit der expliziten Ansage, er wolle die Regierungspartei ruinieren. Zudem sagten zwei detaillierte Umfragen den Torys eine vernichtende Niederlage voraus.
Sunak geht in die Offensive
Der Bedrohung Farage begegnete Sunak offensiv: Als Premierminister infrage komme nur er oder Starmer. „Eine Stimme für irgendjemand anderen ist eine Stimme für ihn“, sagte der Regierungschef auf seinen Kontrahenten deutend. Von Anfang an trat Sunak kampfeslustig auf, sprach von seinem „klaren Plan“ und „mutigen Entscheidungen“. Im Kontrast dazu habe Labour keine Zukunftsvision. Immer wieder, allein siebenmal in den ersten 25 Minuten, zitierte Sunak eine Berechnung seines Finanzministeriums, wonach Labour für jede Familie Steuererhöhungen von 2.000 Pfund plane. Wie diese runde Summe zusammenkommt, blieb offen.
Immerhin gelang es dem Regierungschef, mit seinem dauernd wiederholten Slogan von Labour als Steuererhöhungspartei, seinen Kontrahenten aus dem Gleichgewicht zu bringen. Mehrfach schüttelte Starmer den Kopf, murmelte hörbar „Unsinn“ und setzte zuletzt zu einer umständlichen Erläuterung an, weshalb Sunaks Vorwurf nicht stimme. Das blieb in der Hitze des Gefechts unwirksam.
Wie bei vielen anderen Politikfeldern ging es auch bei der Besteuerung um den Gegensatz zwischen Vergangenheit und Zukunft. Beim Premierminister handele es sich um „den britischen Experten, was Steuererhöhungen angeht“, höhnte Starmer und zählte die 26 Maßnahmen der Tory-Regierung auf, die zur höchsten Steuerbelastung seit 70 Jahren geführt hat. „2.000 Pfund“, erwiderte Sunak ungerührt den an Labour gerichteten Vorwurf und wiederholte den Satz: „Bei dieser Wahl geht es um die Zukunft.“
Einigkeit in Sachen Außenpolitik
Außenpolitisch stimmten die beiden Anwärter auf die Downing Street Nummer Zehn überein: Im Gaza-Krieg befürworteten beide den sofortigen Waffenstillstand, die Freilassung aller Geiseln und rasche Hilfsmaßnahmen für die Palästinenser sowie erneute Anstrengungen auf dem Weg zur Zwei-Staaten-Lösung. Gleichermaßen stellten beide die Zusammenarbeit mit Donald Trump in Aussicht für den Fall, dass die Amerikaner den verurteilten Straftäter erneut zum Präsidenten wählen: „Unsere besondere Beziehung reicht weit über einzelne Personen hinaus“, sagte Starmer. Von Europa war mit keinem Wort die Rede.
In der Klimapolitik verteidigte Sunak seine Entscheidungen der vergangenen Monate, mit denen er die energischen Schritte seines Vorgängers Boris Johnson auf dem Weg zur Emissionsreduzierung zurückgenommen hatte. Hingegen betonte Starmer die „gewaltige Gelegenheit“, die der Ausbau erneuerbarer Energien der Insel biete: „Ich will, dass Großbritannien in diesem Rennen um die Arbeitsplätze der Zukunft gewinnt.“ Freilich blieb bei beiden offen, wie die Milliarden-teure-Aufgabe finanziert werden soll.
Sebastian Borger, aus London