In Südafrika ist ein Ende der Alleinregierung des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und damit erstmals seit 1994 die Bildung einer Koalition absehbar. Nach Auszählung der Hälfte der Wahllokale kommt der ANC nach Stand vom Freitag auf 42 Prozent der Stimmen. Bei der Parlamentswahl 2019 hatte die Partei von Präsident Cyril Ramaphosa mit 57,5 Prozent noch klar die absolute Mehrheit. Die Aufmerksamkeit der Beobachter richtet sich nun auf die potenziellen Koalitionspartner.

Die Wahlkommission strebt an, am Sonntag das endgültige Ergebnis der Abstimmung vom Mittwoch zu verkünden. Bisher hat der ANC keine Vorlieben für Koalitionspartner erkennen lassen. ANC-Chef Gwede Mantashe hatte am Donnerstag lediglich erklärt: „Eine Koalition ist nicht unser Plan, sie ist eine Konsequenz. Wir werden mit dieser Konsequenz umgehen, wenn sie eintritt.“

Nach Hochrechnungen des Rates für wissenschaftliche und industrielle Forschung (Council for Scientific and Industrial Research) vom Freitag wird die Partei des Anti-Apartheid-Kämpfers Nelson Mandela 40,5 Prozent der Stimmen erhalten. Ihm folgt die wirtschaftsfreundliche Demokratische Allianz (DA) mit 23,4 Prozent. Platz drei belegt demnach die neu gegründete Partei uMkhonto we Sizwe (MK) unter der Führung des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma mit knapp elf Prozent. Die marxistischen Kämpfer für wirtschaftliche Freiheit (EFF) liegen bei knapp zehn Prozent.

Beschlagnahmung von landwirtschaftlichen Betrieben

Investoren haben sich besorgt über die Möglichkeit einer Koalition mit der EFF gezeigt. Die Partei tritt für die Verstaatlichung der Gold- und Platinminen ein. Außerdem sollen weiße Farmer enteignet werden, um ihr Land an Schwarze zu verteilen. Auch die MK will landwirtschaftliche Betriebe beschlagnahmen. Die DA hat sich zwar als Wahlziel gesetzt, den ANC auf die Oppositionsbänke zu verbannen. Ihr Chef John Steenhuisen hat allerdings eine Partnerschaft nicht ausgeschlossen, um eine „Weltuntergangskoalition“ des ANC mit EFF oder MK zu verhindern.

Der ANC wird nach den vorläufigen Ergebnissen auch die absolute Mehrheit in der wirtschaftsstärksten Provinz des Landes, Gauteng, in der die Hauptstadt Pretoria und die Wirtschaftsmetropole Johannesburg liegen, verlieren. Ebenso wird der ANC mutmaßlich in KwaZulu-Natal, der Heimatprovinz Zumas, unter 50 Prozent fallen. Die wirtschaftlich zweitstärkste Provinz, das Westkap, in dem Kapstadt liegt, wird bereits seit Jahren von der DA geführt, die dort den vorläufigen Ergebnissen zufolge die absolute Mehrheit behalten wird.

Der Vorsitzende der größten südafrikanischen Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) John Steenhuisen gibt seine Stimme im Wahllokal der Northwood School in Durban ab.
Der Vorsitzende der größten südafrikanischen Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) John Steenhuisen gibt seine Stimme im Wahllokal der Northwood School in Durban ab. © AFP / Gianluigi Guercia

Mitglieder von 52 Parteien konkurrierten am 29. Mai um die 400 Sitze des Nationalparlaments. Nach Verkündung der Ergebnisse muss das neugewählte Parlament innerhalb von 14 Tagen eine Regierung bilden und einen Präsidenten wählen. Auch Provinzregierungen wurden neu gewählt.

Der Grund für den historischen Machtverlust des ANC in dem Land mit 61 Millionen Einwohnern am Südzipfel Afrikas wird mit einer schwachen Regierungsbilanz begründet: eine kränkelnde Wirtschaft, Massenarbeitslosigkeit, marode Staatsunternehmen, regelmäßige Stromabschaltungen sowie hohe Kriminalität und Korruption.