Dass sich die Welt gerade in einem rasanten Umbruch befindet, haben die vergangenen zwei Jahre nur allzu deutlich gezeigt. Russland führt seit 2022 einen erbarmungslosen Angriffskrieg in der Ukraine, der Überfall der Hamas auf Israel hat zu einer Verschiebung der tektonischen Platten in Nahost geführt und China trägt seine globalen Machtansprüche immer offensiver vor.
Doch was bedeutet das alles hier für uns in Österreich und Europa? Antworten auf diese Frage hat Außenminister Alexander Schallenberg am Dienstag beim Wiener Salon im Gespräch mit Chefredakteur Hubert Patterer zu geben versucht. Und in der bis auf den letzten Platz gefüllten Wiener Niederlassung der Kleinen Zeitung sprach Schallenberg auch von Anfang an Klartext. So haben Österreich und Europa nach Ansicht des Außenministers viel zu lange auf die Friedensdividende nach dem Kalten Krieg vertraut, während die Welt rundherum eine andere – und nicht unbedingt bessere – geworden ist. „Ob wir es wollen oder nicht, aber wir befinden uns im systemischen Grundlagenwettbewerb mit rückwärtsgewandten Autokratien wie Russland und China und dabei geht es um das Eingemachte “, sagt Schallenberg. „Wir müssen die Augen öffnen und sehen, dass die Welt nicht freundlich ist und dass unser Lebensmodell von einigen als Akt der Aggression gesehen wird.“
Was aus dieser Analyse folgen muss, liegt für den ehemaligen Kurzzeitkanzler dabei klar auf der Hand. Europa müsse sich auf die Hinterbeine stellen und sein Lebensmodell und die liberale Demokratie offensiv und mit dem entsprechenden Mindset verteidigen. „Die Agenda der EU-Kommission in der letzten Legislaturperiode war in gewisser Hinsicht eine Friedensagenda. Was wir jetzt brauchen, ist – vielleicht etwas überspitzt formuliert – eine Kriegsagenda“, sagt Schallenberg mit Blick auf die Konflikte und Bedrohungslagen in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas.
Dass die zugespitzte geopolitische Gemengelage auch Konsequenzen für Österreich bringt, ist für Schallenberg offensichtlich. „Die Neutralität alleine schützt nicht“, sagt der Außenminister – auch wenn das in der Öffentlichkeit vielleicht anders wahrgenommen werde. Als Absage an die Neutralität und einen eventuellen Nato-Beitritt will das Schallenberg – wie auch Kanzler Karl Nehammer – freilich nicht verstanden wissen. Viel mehr müsse ein neutraler Staat für die eigene Sicherheit sorgen können, in dem er ausreichend in seine Verteidigungskapazitäten investiert. Österreich werde zwar einen Beitrag zur europäischen Sicherheit leisten und auch gemeinsame Beschaffungsprojekte realisieren, aber in seinen Entscheidungen souverän bleiben. „Die Sicherheitspolitik immer auf die Nato zu beschränken, ist völlig falsch.“
Wie wenig sich Österreich von den Dingen ringsherum abkoppeln kann, haben in den vergangenen Jahren aber nicht nur die Kriege in der erweiterten Nachbarschaft gezeigt, sondern auch vor allem das Thema Migration. Schallenberg plädiert auch hier für eine Realpolitik „ohne Scheuklappen“. So sieht der Außenminister das britische Ruanda-Modell oder den italienischen Plan, Asylverfahren in Albanien abzuwickeln, als etwas an, das man sich genauer anschauen sollte. „Wie viele Regierungen müssen noch fallen, wie viele Wahlen müssen denn noch durch diese Frage beeinflusst werden?“, fragt Schallenberg.