Noch bevor der Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi offiziell bestätigt war, wurde der 63-Jährige schon für verzichtbar erklärt. Das iranische Volk solle sich keine Sorgen machen, teilte Revolutionsführer Ali Khamenei mit: „Es wird keine Störung für das Land geben.“ Raisis Tod ist ein Rückschlag für das Teheraner Regime, das sich auf die Nachfolge für Khamenei vorbereitet. Der Präsident hinterlässt aber keine Lücke, die nicht rasch gefüllt werden könnte. Gemäß der Verfassung soll der erste Vizepräsident Mohammed Mochber übergangsweise die Regierungsgeschäfte übernehmen.
Keine Chance, dem Wrack zu entkommen
Der Präsidenten-Hubschrauber mit Raisi, Außenminister Hossein Amirabdollahian und sieben weiteren Menschen an Bord flog im dichten Nebel gegen einen Berg im Nordwesten Irans nahe der Grenzen zur Türkei und Aserbaidschan. Als das ausgebrannte Wrack gefunden wurde, erklärten die Behörden, niemand habe überlebt.
Kommentar von Thomas Golser
Raisi, der seine Abstammung auf den Propheten Mohammed zurückführte und deshalb einen schwarzen Turban trug, kam aus einer konservativen Familie und wurde seit langem von Khamenei gefördert. Als Staatsanwalt war Raisi 1988 an Massenhinrichtungen angeblicher Regimegegner beteiligt: Damals wurden rund 5000 Menschen getötet. Seit 2007 war er Mitglied im „Expertenrat“, der den neuen Revolutionsführer wählt. 2017 unterlag Raisi bei der Präsidentenwahl dem damaligen Amtsinhaber Hassan Ruhani. Zwei Jahre später ernannte ihn Khamenei zum Chef der Justiz.
Seit Raisis Wahl zum Präsidenten im Juni 2021 beherrschen die iranischen Hardliner alle wichtigen Staatsinstitutionen. Trotzdem versagte Raisi aus Sicht vieler Iraner in seinem Amt: Er bekam weder die Wirtschaftskrise noch die Korruption in den Griff. Als nach dem Tod der jungen Mahsa Amini im Gewahrsam der Religionspolizei im September 2022 landesweite Proteste ausbrachen, ließ Raisi den Aufstand niederschlagen. Außenpolitisch führte er den Iran näher an Russland und China heran. Der Dauerkonflikt mit Israel eskalierte unter seiner Präsidentschaft: Im April griff der Iran den jüdischen Staat erstmals mit Raketen an.
Auch bei der Modernisierung der iranischen Infrastruktur blieb Raisi schwach, wie sich bei seinem Tod zeigte: Der Präsident war in einem amerikanischen Hubschrauber aus der Zeit vor der Islamischen Revolution von 1979 unterwegs. Das Wrack wurde nicht von iranischen Suchtrupps entdeckt, sondern von einer türkischen Aufklärungsdrohne, die Ankara auf Bitten Teherans entsandt hatte.
Als Präsident setzte Raisi nur die Vorgaben von Khamenei um, der als Revolutionsführer der mächtigste Mann der Islamischen Republik ist. Raisi galt als möglicher neuer Revolutionsführer nach Khameneis Tod – darin liegt die politische Bedeutung seines Todes für das Regime. Seit der jüngsten Parlamentswahl im März, bei der die Hardliner ihre Machtposition festigten, richtete sich die Führung auf eine geordnete Nachfolgeregelung für Khamenei ein.
Neuwahl binnen 50 Tagen
Daraus wird jetzt nichts. Die iranische Verfassung schreibt beim Tod des Präsidenten eine Neuwahl binnen 50 Tagen vor – regulär hätte die nächste Präsidentenwahl erst 2025 stattgefunden. Khamenei, die mächtige Revolutionsgarde und andere Mitglieder der Elite müssen nicht nur schnell einen Präsidentschaftskandidaten finden. Sie wollen auch verhindern, dass die Neuwahl zum neuen Misstrauensvotum gegen die Islamische Republik wird: Bei der Parlamentswahl im März waren nur rund 41 Prozent der Iraner zur Urne gegangen.
Sinkt die Beteiligung bei der Wahl in knapp zwei Monaten weiter, wird sich die Legitimitätskrise der Islamischen Republik verschärfen. Manche Iraner feierten die Nachricht von Raisis Hubschrauber-Unfall mit Feuerwerken, wie Irans Oppositionelle berichteten. Um die Abneigung gegen das Regime zu mildern, könnte sich Khamenei entschließen, einen Kandidaten des Reformlagers zur Neuwahl des Präsidenten zuzulassen: Khamenei hatte bislang stets alle aussichtsreichen Bewerber, die nicht zu den Hardlinern gehörten, von den Wahlen ausgeschlossen.