Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico ist am Mittwoch nach einer Regierungssitzung in der Stadt Handlová angeschossen worden. Nähere Hintergründe waren vorerst nicht bekannt. Der Parteichef der Smer - Slowakische Sozialdemokratie (Smer - SSD) - und frühere Langzeitregierungschef hatte bei den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst ein Comeback gefeiert. Seither sorgte die Regierung des linkspopulistischen Fico mit allerlei umstrittenen Entscheidungen für Aufsehen.
Öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt aufgelöst
Mitte April wurde die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt RTVS aufgelöst. Die Dreiparteien-Regierung nahm am Mittwoch den umstrittenen Gesetzesvorschlag der nationalistischen Kulturministerin Martina Šimkovičová an. Oppositionspolitiker und regierungskritische Journalisten lehnten die Entscheidung ab. Zudem hatte Fico in der EU und der NATO im Wahlkampf mit der Ankündigung für Besorgnis gesorgt, der Ukraine keine Waffen mehr liefern zu wollen. Zuletzt versuchte der on politischen Gegnern als „russlandfreundlich“ kritisierte Fico die Wogen etwas zu glätten. Im Rahmen einer gemeinsamen Sitzung der Regierungen der Slowakei und der Ukraine in der Ostslowakei wurde eine engere Zusammenarbeit vereinbart. Dabei sicherte Fico einem ukrainischen Amtskollegen Denys Schmyhal zudem Unterstützung bei den Bemühungen um einen möglichst baldigen EU-Beitritt zu.
Anfang Mai demonstrierten Tausende Menschen in Bratislava gegen die von Fico geführte Regierung. Aufgerufen dazu hatte die Oppositionspartei „Progressive Slowakei“ (PS), die anderen Oppositionsparteien beteiligten sich daran im Gegensatz zu früheren Demonstrationen nicht. Der Protest richtete sich primär gegen die von der Regierung geplante Auflösung des öffentlich-rechtlichen Senders RTVS, aber auch gegen Eingriffe in das Pensionssystem. PS-Parteichef Michal Simecka sagte dem RTVS-Fernsehen: „Die Gründe für den Protest sind, dass die Regierung das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Radio unter ihre Kontrolle bringen will und dass sie daraus ein willfähriges Sprachrohr der Koalition machen will. Das betrachten wir als inakzeptable Bedrohung der Demokratie in der Slowakei.“
Die Drei-Parteien-Koalition aus zwei sozialdemokratischen und einer kleinen rechtspopulistisch-prorussischen Partei hatte am 24. April beschlossen, RTVS aufzulösen und durch eine neue Anstalt namens STVR zu ersetzen. Die Koalitionsparteien werfen der RTVS-Führung vor, „nicht objektiv“ zu berichten und der liberalen Opposition zu nahe zu stehen. Nach bestehenden Gesetzen kann die Regierung aber den noch unter einer früheren Regierung eingesetzten RTVS-Generaldirektor Ľuboš Machaj nicht vor Ablauf seiner Funktionsperiode 2027 absetzen. Indem sie den Sender einfach auflöste, umging sie dieses Hindernis.
Die liberale Opposition lehnt aber auch Regierungspläne ab, das staatliche Rentensystem gegenüber privaten Rentenkassen zu stärken. Eine liberal-konservative frühere Regierung hatte verfügt, dass ein Teil der Pflichtbeiträge von Arbeitnehmern in Privatkassen statt nur ins staatliche System fließen muss. Die nun wieder regierenden Sozialdemokraten wollen diesen Anteil verringern. Zugleich sollen die Rentenfonds verpflichtet werden, mehr in die slowakische Wirtschaft statt in internationale Aktienmärkte zu investieren.
Der 59-Jährige gilt als einer der erfahrensten Politiker der Slowakei. Er ist seit über 25 Jahren in der Politik des EU- und NATO-Landes aktiv, er ist nicht nur Gründungsvater, sondern auch der bisher einzige Vorsitzende seiner Partei, die seit ihrer Entstehung immer im Parlament vertreten war und drei Mal die Regierung bildete.
Die bisher größte Krise hatte er nach dem Mord am Investigativjournalisten Jan Kuciak und dessen Verlobter 2018 durchgemacht. Sie kostete ihn den Posten des Premiers und später auch den Sieg bei der Wahl 2020. Es folgte der Gang in die Opposition. Kurz darauf musste die Smer auch noch einer internen Krise trotzen, als sich mit Peter Pellegrini eines der bekanntesten Gesichter von der Mutterpartei verabschiedete; zusammen mit elf Parlamentsabgeordneten der Smer gründete er eine eigene neue sozialdemokratische Partei, die Hlas. Die Umfragewerte für Smer sackten daraufhin ab. Wer aber Fico für eine politische Leiche hielt, der hat sich gewaltig geirrt - der begabte Redner steht jetzt vor seiner vierten Amtszeit als Ministerpräsident.
Der aus bescheidenen Verhältnissen in der westslowakischen Kleinstadt Topolcany stammende studierte Jurist hatte sich einst dank seiner Intelligenz und viel Ausdauer bis zur politischen Spitze der Slowakei durchgekämpft. Kurz vor der Wende trat der junge Strafrechtsexperte noch der Kommunistischen Partei bei, was ihm Kritiker bis heute immer wieder vorwerfen. Aus den Kommunisten wurde nach der Samtenen Revolution eine Partei der Demokratischen Linken (SDL), für die Fico 1992 einer der jüngsten Parlamentsabgeordneten war. Über sechs Jahre lang wirkte er auch als Vertreter der Slowakei beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Ambitioniert war Fico von Anfang an. Seine Smer gründete er 1999, nachdem er in der SDL bei der Wahl des Generalstaatsanwalts der Slowakei übersehen worden war. Zunächst war es eine Partei des dritten Weges, die den harten Wirtschafts- und Sozialreformen der damaligen Regierung von Mikuláš Dzurinda entgegenwirken wollte. Später profilierte Fico die Smer mehr links mit einem starken Sozialprogramm.
In den Jahren darauf gelang es ihm, so gut wie alle Linksparteien der Slowakei in seiner Smer zu vereinen, die zur stärksten politischen Kraft links der Mitte aufstieg. Einen ersten Wahlsieg verbuchte die Smer erst im zweiten Anlauf, bei der Wahl 2006. Nach einer Absage der Mitte-Rechts-Parteien ging Fico schnell eine Koalition mit dem umstrittenen Ex-Premier Vladimir Meciar und der nationalistischen SNS von Jan Slota ein, wofür er viel Kritik einstecken musste. Auch die Mitgliedschaft der Smer in der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) wurde vorübergehend ausgesetzt. Seine Koalition hielt die gesamte Legislaturperiode.
Vier Jahre später war Fico erneut der Wahlsieger, mangels Koalitionspartnern musste er den Auftrag zur Regierungsbildung aber zurückgeben; eine Mitte-Rechts-Regierung unter Iveta Radičová kam an die Macht. Als diese kurz darauf über den Griechenland-Rettungsschirm stürzte, konnte Fico seinen bisher größten Wahlerfolg feiern - nachdem seine Partei 2012 auf über 44 Prozent der Stimmen kam, bildete er eine einfarbige Regierung.
Bei der Wahl 2016 war es erneut ein Wahlsieg, auch wenn es nur für eine Regierung in Koalition mit der SNS, der Most-Hid und der später zerfallenen Siet reichte. Das Desaster kam unerwartet 2018 mit dem Mord am Investigativreporter Jan Kuciak, der unter anderem über Korruption und Machenschaften von Smer-nahen Staatsbediensteten und Oligarchen recherchiert hatte. Nach Großdemonstrationen war Fico gezwungen, seinen Posten an Peter Pellegrini abzugeben, wodurch er die Koalition unter der Smer weitere zwei Jahre lang an der Macht hielt.
Mafiaverstrickungen, die der Fico-Partei vorgeworfen wurden, haben sich zwar bisher nicht bestätigt. Für Slowaken, die sich nach einem demokratischen Neustart der Slowakei sehnten, blieb aber Fico das Gesicht einer korrupten Slowakei, eines Systems, das schließlich bis zum Journalistenmord führte. Bei der Parlamentswahl 2020 wurde Fico mit seiner Smer vom selbsternannten „Kämpfer gegen die Mafia“, Igor Matovič, abgesetzt und schien auf dem Weg in die politische Vergessenheit.
Fico hat seine Rhetorik nach und nach verschärft
Erst im Februar 2023 kam die Kehrtwende. Fico hat seine Rhetorik nach und nach verschärft, womit er sichtlich auf extremer ausgerichtete Wähler rechter Parteien zielte. Die Rechnung ging auf, zudem konnten seine Sozialdemokraten sogar einen Teil ihrer ehemaligen Wähler von der Hlas zurückgewinnen und waren plötzlich wieder im Aufwind.
Die Behauptung, in der Opposition habe sich der Smer-Chef radikalisiert, war aber laut einigen Beobachtern nicht ganz korrekt. Er habe nur einfach sehr geschickt die tiefe Polarisierung der Gesellschaft und extreme Unzufriedenheit der Slowaken mit der Vorgängerregierung genutzt. Tief frustriert vom politischen Chaos im Land und dem Gefühl in der Gesellschaft, in Krisenzeiten, einer Rekordverschuldung des Landes und einer zweistelligen Inflation im Stich gelassen worden zu sein, sehnen sich viele Slowaken wieder nach einem starken, autoritären Führer, der für Stabilität und Ordnung sorgen wird. Fico versprach es.
Wiederholt stellte er sich im Wahlkampf gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine, gegen eine Fortsetzung der EU-Sanktionen gegen Russland, die viele Slowaken als Ursache für teure Energie und ständig steigende Preise sehen. Wiederholt versicherte er, er werde das Land vor einer erneut aufkommenden Migrationswelle schützen. Fico werde die Slowakei unausweichlich auf Orban-Kurs bringen, warnten seine Widersacher. Andere Beobachter argumentieren, Fico sei vor allem ein Pragmatiker, dem voll bewusst ist, wie wichtig die Verankerung des Landes in EU und NATO ist. Und wie sehr Eurofonds der Slowakei helfen. Was er im Wahlkampf gesagt habe, sei eine Sache - seine tatsächliche Politik aus überlegtem Pragmatismus etwas ganz anderes.
Privat ist Fico mit der Anwältin Svetlana Ficova verheiratet. Gemeinsam haben sie einen Sohn.