Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz darf die AfD nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster weiter als Verdachtsfall einstufen. Das Gericht wies am Montag eine Berufungsklage der AfD gegen ein Urteil der Vorinstanz in Köln zurück. Der Verfassungsschutz habe bei seinen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit gewahrt, erklärte das Gericht bei der Urteilsbegründung. Die AfD kündigte umgehend an, den Rechtsstreit vor das nächst höhere Gericht zu tragen.
Kein „zahnloser Tiger“
Die Befugnisse des Verfassungsschutzes seien „keineswegs grenzenlos weit“, aber eine wehrhafte Demokratie dürfe auch kein „zahnloser Tiger“ sein, betonte Gerald Buck, Vorsitzender Richter des 5. Senats, in der Begründung der Entscheidung. Es gebe nach Überzeugung des Senats den begründeten Verdacht, „dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen“, hieß es in der Begründung. Das sei laut Grundgesetz eine „unzulässige Diskriminierung“.
Das Vorgehen sei mit dem Grundgesetz, dem Europarecht und dem Völkerrecht vereinbar. Die durch das Gericht bestätigte Einstufung erlaubt eine Beobachtung der Partei durch den deutschen Inlandsgeheimdienst.
AfD kritisiert Entscheidung
„Wir werden selbstverständlich die nächste Instanz anrufen“, sagte AfD-Bundesvorstandsmitglied Roman Reusch am Montag laut einer Mitteilung der Partei. Das Gericht in Münster hatte in seinem Urteil keine Revision zugelassen. Die AfD kann aber Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einlegen. AfD-Vize Peter Boehringer kritisierte mit Blick auf das Verfahren eine „ungenügende Sachverhaltsaufklärung“. „Hunderten Beweisanträgen nicht nachzugehen grenzt an Arbeitsverweigerung wie schon in der Vorinstanz, was ja gerade der Hauptgrund für die Revision gewesen war.“
Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte nach dem Urteil die Eigenständigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz. „Das heutige Urteil zeigt, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind“, sagte Faeser am Montag. Der deutsche Rechtsstaat habe Instrumente, um die Demokratie vor Bedrohungen von innen zu schützen. „Genau diese Instrumente werden auch eingesetzt - und sind jetzt erneut von einem unabhängigen Gericht bestätigt worden“, fügte die Ministerin hinzu, zu deren Verantwortungsbereich das Bundesamt gehört.
Faeser sagte, der Verfassungsschutz habe einen klaren gesetzlichen Auftrag, gegen Extremismus vorzugehen. Dabei arbeite er eigenständig. Die Bewertung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall sei von der Sicherheitsbehörde sorgfältig begründet und nun bereits in zweiter Instanz für rechtmäßig befunden worden. „Im Rechtsstaat entscheiden unabhängige Gerichte“, sagte Faeser.
Urteil im Wahlkampf
Die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) hatte sich gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln gewandt, das wegen des Verfassungsschutz-Dienstsitzes in Köln für den Fall in der Vorinstanz zuständig war. Das Kölner Gericht wies im März 2022 eine Klage der AfD gegen die rund ein Jahr zuvor erfolgte Einstufung als Verdachtsfall ab. Die Partei ging in die Berufung. Zu Beginn der Verhandlung am Oberverwaltungsgericht Mitte März in Münster stellte die AfD zahlreiche Befangenheitsanträge gegen die Richter. Ein Anwalt des Verfassungsschutzes warf der AfD vor, damit das Verfahren in die Länge ziehen zu wollen.
Das Urteil fällt mitten in den Wahlkampf für die Europawahl Anfang Juni und in die Vorbereitungen für die Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Die AfD ist Umfragen zufolge in den ostdeutschen Bundesländern besonders stark. Die Landesverbände Thüringen und Sachsen werden - wie auch jener in Sachsen-Anhalt - von den Verfassungsschutzbehörden dieser Bundesländer als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft.