Vor einem erwarteten Militäreinsatz hat Israels Armee am Montag mit der Evakuierung von Rafah im südlichen Gazastreifen begonnen. Das Militär rief die Einwohner des östlichen Teils der Stadt an der Grenze zu Ägypten dazu auf, sich in das einige Kilometer nördlich gelegene Al-Mawasi-Lager am Mittelmeer zu begeben. Das Militär sprach von einem „begrenzten Einsatz“. Davon betroffen seien schätzungsweise 100.000 Menschen, die zum Schutz in „humanitäre Gebiete“ gebracht würden.
In Al-Mawasi gebe es Nahrungsmittel, Wasser und Medikamente, sagte ein Militärsprecher. Die Armee habe dort auch Feldkrankenhäuser errichtet. Er konnte nicht sagen, wie viel Zeit die Menschen für die Evakuierung haben. Der Sprecher betonte, die Versorgung der Bevölkerung mit humanitären Hilfsgütern werde während des Räumungseinsatzes ungehindert weitergehen. Man könnte diese über verschiedene Routen in den Küstenstreifen bringen, etwa über den Hafen in Aschdod.
Gescheiterter Geisel-Deal
Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant begründete die Operation mit der Ablehnung des Vorschlags für eine Waffenruhe im Gazastreifen durch die militant-islamistische Palästinenserorganisation Hamas und der damit gescheiterten Freilassung einiger Geiseln aus der Gewalt der Extremisten. Dies habe er seinem US-Amtskollegen Lloyd Austin in der Nacht mitgeteilt, erklärte Gallant.
Die USA und andere Verbündete Israels hatten allerdings seit Monaten eindringlich vor einer solchen Offensive in Rafah gewarnt, weil sich dort Hunderttausende palästinensische Binnenflüchtlinge aufhalten. Sie harren seit Monaten unter immer prekäreren Bedingungen auf engstem Raum aus. Israel hatte zur Vorbereitung eines Angriffs Zehntausende Zelte beschafft, um Zivilisten außerhalb von Rafah unterzubringen.
„Einsatz unumgänglich“
Israel will mit dem Militäreinsatz in Rafah die verbliebenen Bataillone der militant-islamistischen Palästinenserorganisation Hamas zerschlagen. Es werden auch Geiseln in der Stadt an der Grenze zu Ägypten vermutet. Israel hält den Einsatz für unumgänglich, um eine Zerstörung der Kampffähigkeiten der Hamas sicherzustellen. Anderenfalls könne sie nach Kriegsende wieder erstarken.
Es wird erwartet, dass eine Evakuierung mehrere Wochen dauern könnte. Die Hamas habe ihre Kämpfer in Rafah auf den Einsatz gegen Israel vorbereitet und sie mit Proviant und Waffen versorgt, hieß es aus Israel dazu. Auch die Zahl der Wächter für die Geiseln ist nach Medienberichten verstärkt worden.
Ägypten befürchtet Ansturm von Palästinensern
Ägypten befürchtet unter anderem, es könnte bei einem Einsatz Israels in Rafah zu einem Ansturm von Palästinensern über die Grenze kommen. In Rafah liegt der Grenzübergang vom Gazastreifen nach Ägypten, es ist auch ein wichtiges Tor für humanitäre Hilfslieferungen in den abgeriegelten Küstenstreifen. Heftige Kämpfe in Rafah könnten die Lieferungen von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff weiter erschweren.
Ranghohe israelische Geheimdienst- und Militärbeamte waren im vergangenen Monat in Kairo unter anderem mit dem ägyptischen Geheimdienstchef zusammengetroffen, um Israels geplanten Einsatz seiner Armee in Rafah zu besprechen. Zuvor hatte der Vorsitzende des ägyptischen Staatsinformationsdiensts SIS, Diaa Rashwan, noch erklärt, man führe keine Gespräche mit Israel über dessen mögliche Militäroffensive in Rafah. Ägypten lehne Pläne für solch eine Offensive entschieden ab und habe diese Position auch mehrfach klargestellt. Die Stadt im Süden gilt als die einzige in dem abgeriegelten Küstenstreifen, die noch vergleichsweise intakt ist.
Die Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gazakrieg und eine Geiselfreilassung waren zuletzt wieder ins Stocken geraten. Auch am Wochenende gab es keinen Durchbruch.
Zähe Verhandlungen
Die Hamas und die israelische Regierung beharrten auf ihren gegensätzlichen Positionen und warfen sich gegenseitig eine Behinderung der Gespräche vor. Die Hamas erklärte am Sonntagabend, die jüngste Verhandlungsrunde sei beendet. Man werde nun über das weitere Vorgehen beraten. Die Hamas fordert etwa, dass eine Feuerpause in ein vollständiges Kriegsende münden müsse. Das lehnt Israel ab. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bekräftigte am Sonntag, Israel sei bereit, die Kämpfe im Gegenzug für die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Extremisten pausieren zu lassen. Der Militäreinsatz werde aber erst beendet, wenn die Hamas entmachtet sei.
Der laufende Gazakrieg wurde durch den beispiellosen Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober ausgelöst, bei dem nach israelischen Angaben etwa 1170 Menschen brutal getötet und rund 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Israel geht seit dem Hamas-Angriff massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, inzwischen mehr als 34.600 Menschen getötet. Israel bestreitet diese Zahlen.
Der Militärsprecher sagte, Israel habe am Vortag eine „gewaltsame Erinnerung an die Präsenz und die operationalen Fähigkeiten der Hamas in Rafah erhalten“. Mitglieder des militärischen Hamas-Arms hatten am Sonntag Raketen auf den israelischen Grenzübergang Kerem Schalom gefeuert und dabei drei israelische Soldaten getötet. Kerem Schalom ist der wichtigste Grenzübergang für die Lieferung von Hilfsgütern aus Israel in den Gazastreifen. Die Armee schloss ihn nach dem Raketenangriff vorübergehend für humanitäre Transporte. Das Militär bombardierte im Anschluss nach eigenen Angaben im Gazastreifen den Ort in der Nähe des Grenzübergangs Rafah zu Ägypten, von dem der Angriff ausgegangen war.
Vor Kampfeinsätzen in Rafah will Israel die Stadt nach eigenen Angaben zunächst evakuieren. Es wird erwartet, dass dies mehrere Wochen dauern könnte. Die Hamas habe ihre Kämpfer in Rafah auf den Einsatz gegen Israel vorbereitet und sie mit Proviant und Waffen versorgt, hieß es aus Israel dazu. Auch die Zahl der Wächter für die Geiseln ist nach Medienberichten verstärkt worden.
Nach Informationen des „Wall Street Journal“ will Israel seine Bodenoffensive in Rafah in Etappen durchführen. Das Blatt schrieb von zwei bis drei Wochen Evakuierung und sechs Wochen Offensive.