Trotz Kritik hält Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron daran fest, einen Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine nicht auszuschließen. „Wenn die Russen die Frontlinien durchbrechen sollten, wenn es eine ukrainische Bitte gäbe - was heute nicht der Fall ist -, dann sollten wir uns die Frage berechtigterweise stellen“, sagte Macron in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der Zeitung „Economist“.
„Stehen jemandem gegenüber, der nichts ausschließt“
Dies aber von vornherein auszuschließen, bedeute, keine Lehren aus den vergangenen beiden Kriegsjahren zu ziehen. Einen solchen Einsatz grundsätzlich auszuschließen sei vor allem mit Blick auf die Abschreckung Russlands falsch, so Frankreichs Präsident. „Wie ich schon gesagt habe, schließe ich nichts aus, weil wir jemandem gegenüberstehen, der nichts ausschließt“, sagte Macron - offensichtlich mit Blick auf Kremlchef Wladimir Putin. „Wir waren zweifelsohne zu zögerlich, als wir die Grenzen unseres Handels gegenüber jemandem formuliert haben, der keine mehr hat und der der Angreifer ist.“ Macron betonte, es gehe auch darum, nicht alles aufzudecken, was man tun werde oder nicht. Sonst schwächten sich die westlichen Staaten nur selbst.
Macron hatte zuerst Ende Februar einen Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nicht ausgeschlossen. Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz hatte daraufhin einer Entsendung westlicher Soldaten in die Ukraine eine Absage erteilt. Macron machte nun erneut klar, weshalb er die strategische Ambiguität für notwendig hält: „Wenn Russland in der Ukraine gewinnt, haben wir keine Sicherheit mehr in Europa.“ Wer könne garantieren, dass Russland dort Halt mache, fragte er. „Welche Sicherheit gäbe es für andere Nachbarländer, Moldau, Rumänien, Polen, Litauen und so viele andere?“ Er schloss: „Wir sollten nichts ausschließen, weil unser Ziel ist, dass Russland nie in der Ukraine gewinnt.“
Baldiges Kriegsende scheint ausgeschlossen
Die US-Direktorin der Nationalen Nachrichtendienste stuft unterdessen ein baldiges Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine als unwahrscheinlich ein. Russland werde seine aggressive Taktik wahrscheinlich fortsetzen, sagt Avril Haines vor dem Streitkräfteausschuss des Senats. Es habe seine Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur verstärkt, um die Regierung in Kiew daran zu hindern, Waffen und Truppen an die Front zu verlegen. Zudem solle die Rüstungsproduktion behindert werden.
Seit mehr als zwei Jahren führt Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wegen stockender Munitions- und Waffenlieferungen, aber auch zunehmend wegen fehlender Soldaten sind die Verteidiger dabei im vergangenen Halbjahr stark in die Defensive geraten. Nach dem Verlust der zur Festung ausgebauten Kleinstadt Awdijiwka nahe der schon seit 2014 von prorussischen Kräften kontrollierten Gebietshauptstadt Donezk ist die Front in Bewegung gekommen.
Ging es bis dahin um Geländegewinne von wenigen Hundert Metern, haben die russischen Truppen seitdem mehrere andere Ortschaften besetzt. Zuletzt gab es bei Otscheretyne einen Durchbruch durch ukrainische Verteidigungslinien.