Um den Zustrom von bisher im Libanon lebenden Flüchtlingen aus Syrien zu stoppen, hat die EU-Kommission dem Land Finanzhilfen in Höhe von rund einer Milliarde Euro versprochen. Das Geld stünde von diesem Jahr bis 2027 zur Verfügung, kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag in Beirut nach einem Gespräch mit dem libanesischen Ministerpräsidenten Najib Mikati und Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis an.
Zusammenarbeit bei der Verhinderung illegaler Migration
Man zähle auf eine gute Zusammenarbeit bei der Verhinderung illegaler Migration und der Bekämpfung von Schleuserkriminalität. Um das Land bei der Steuerung der Migration zu unterstützen, verpflichte sich die EU, legale Wege nach Europa offenzuhalten und Flüchtlinge aus dem Libanon in die EU umzusiedeln. Mit dem Geld sollen auch die libanesischen Streitkräfte und andere Sicherheitskräfte unterstützt werden. „Dabei geht es vor allem um die Bereitstellung von Ausrüstung und Ausbildung für die Grenzverwaltung“, sagte von der Leyen. Darüber hinaus sollen mit den Hilfen das Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen im Libanon gestärkt werden.
Vor allem die zypriotische Regierung hatte die wachsende Zahl syrischer Flüchtlinge aus dem Libanon zuletzt als nicht mehr tragbar kritisiert und ein Handeln der EU gefordert. Angaben von Staatschef Christodoulidis zufolge kamen in den vergangenen Monaten fast täglich Syrer aus dem etwa 160 Kilometer entfernten Libanon mit Booten in der EU-Inselrepublik im östlichen Mittelmeer an. Seit Jahresbeginn wurden bereits rund 4000 Migranten gezählt - im ersten Quartal des Vorjahres waren es lediglich 78.
In absoluten Zahlen sind das deutlich weniger als beispielsweise in Italien, Spanien und Griechenland, wo Bootsflüchtlinge aus Ländern wie Tunesien, Libyen, Ägypten, Marokko oder der Türkei ankommen. Gemessen an seiner Einwohnerzahl gibt es aber nirgendwo in der EU so viele Asylanträge wie auf Zypern. Der krisengebeutelte Libanon kann die Finanzspritze aus der EU gut gebrauchen. Die Wirtschaft des Landes ist angeschlagen, was auch auf jahrzehntelange Korruption in Politik und Wirtschaft zurückgeführt wird. Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF gab vor knapp einem Jahr an, jede zehnte Familie sei gezwungen, ihre Kinder arbeiten zu schicken.
Lager auf Zypern übervoll
Auf Zypern sind die Flüchtlingslager übervoll, die Bearbeitung von Asylanträgen, die Syrer stellen, wurde vorläufig ausgesetzt. Christodoulidis hatte die EU wegen des Anstiegs mehrfach um Hilfe gebeten und einen Deal mit Libanon ähnlich der Vereinbarung mit Ägypten und Tunesien gefordert - mit diesen Ländern hat die EU zuletzt neue Kooperations- und Unterstützungsabsprachen getroffen, die unter anderem Finanzhilfen in Milliardenhöhe vorsehen.
Im Libanon haben die Ressentiments gegenüber Flüchtlingen in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen. Hilfsorganisationen beklagen, dass die sinkende internationale Zuwendungen für Flüchtlinge den Druck erhöhen, die Weiterreise in Richtung Europas anzutreten. Zugleich hört man aus informierten Kreisen im Libanon, dass viele syrische Flüchtlinge nur deshalb nicht in ihre Heimat zurückkehren, weil sie dort keinen Anspruch auf Flüchtlingshilfe wie im Libanon haben.
Diskriminierende Praktiken
Menschenrechtlern zufolge wenden libanesische Beamte seit Jahren diskriminierende Praktiken gegen Syrer an, um sie zur Rückkehr nach Syrien zu zwingen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtete, dass die libanesischen Behörden in den vergangenen Monaten Syrer, darunter Oppositionsaktivisten und Armeeüberläufer, willkürlich festgenommen, gefoltert und nach Syrien zurückgeschickt hätten.
Die libanesischen Regierenden vertreten die Meinung, das Bürgerkriegsland sei stabil und sicher genug, um eine Rückkehr zu gewährleisten. Die Vereinten Nationen und andere Menschenrechtsorganisationen sehen dies allerdings weiter anders. Sie weisen darauf hin, dass die wirtschaftliche Lage ein Überleben kaum möglich mache und politische Flüchtlinge um ihr Leben fürchten müssten. Hinzu kommt: Auch der syrische Machthaber Bashar al-Assad will die geflohenen Menschen nicht zurück in seinem Land.
Kein Staatsoberhaupt im Libanon
Schwierig ist die Lage im Libanon zudem auch politisch. Im Unterschied zu den autoritär regierten Staaten Tunesien und Ägypten gibt es in dem Land zurzeit nicht mal ein Staatsoberhaupt. Seit eineinhalb Jahren scheitert die Wahl eines Präsidenten hier immer wieder an Machtkämpfen innerhalb der politischen Elite. Aktuell wird das Land von Ministerpräsident Najib Mikati geschäftsführend geleitet. Die Regierung ist nur eingeschränkt handlungsfähig.
Auch deswegen will die EU nun auch die Streitkräfte des Landes stärken. Sie werden als ein stabilisierender Faktor in dem an Syrien und Israel grenzenden Land gesehen - auch angesichts der Aktivitäten der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz. Diese schießt aus dem Libanon mit Raketen, Artillerie- und Panzerabwehrgranaten auf Israel - nach eigenen Angaben aus „Solidarität“ mit der Hamas im Gazastreifen. Israel wiederum bekämpft mit Luft- und Artillerieangriffen die Stellungen der Hisbollah.
„EU macht im Libanon einen großen Fehler“
Experten sehen die Pläne von der Leyens kritisch. „Die EU macht im Libanon einen großen Fehler“, sagte Riad Kahwaji, Direktor des Institute for Near East and Gulf Military Analysis. Der Libanon mit seinen großen internen Konflikten sei in keiner Weise bereit, ein Aufnahmeland für Flüchtlinge zu sein. Die gleichen Politiker, die jetzt Gelder von der EU in Empfang nähmen, würden auf Podien dazu aufrufen, die Syrer aus dem Land zu werfen. „Es ist irre, zu sehen, dass die Europäer an die Illusion glauben, dass die libanesischen Behörden in der Lage wären, den Flüchtlingsstrom einzudämmen“, so Kahwaji.
Hilfsorganisationen fordern mehr humanitäre statt militärische Hilfe. Der Libanon stecke seit Jahren in einer tiefen wirtschaftlichen Krise, rund drei Viertel der Einwohner lebten mittlerweile unterhalb der Armutsgrenze. „Die Mittel für humanitäre Hilfe gehen seit Jahren zurück. Das schürt Spannungen zwischen Einheimischen und den Geflüchteten“, sagte Ahmad Safi, Programmverantwortlicher der Diakonie Katastrophenhilfe in der Region, am Donnerstag in einer Aussendung.