Vor der Columbia University am oberen Broadway sammeln sich Demonstranten an allen Ecken. Jüdische Besucher aus Long Island halten Schilder mit der israelischen Fahne und „We stand with Israel“ hoch. Satmar mit Schläfenlocken und schwarzen Hüten, die glauben, Israel dürfe erst nach der Wiederkehr des Messias existieren, protestieren mit palästinensischen Flaggen. Ein Lastwagen der Chabad-Lubawitscher mit lauter Musik fährt den Broadway hoch, darauf tanzende Anhängerinnen des legendären, verstorbenen Rabbi Menachem Mendel Schneerson. Polizeihubschrauber knattern. Auf dem Gehsteig gegenüber warnt eine Bücherverkäuferin. „Ich habe den arabischen Frühling in Tunesien erlebt. Da kamen die Islamisten in die Universitäten und warfen Professorinnen aus dem Fenster.“
Vor ein paar Tagen sind hier noch Unterstützer der Palästinenser mit Trommeln und Transparenten aufgezogen, darunter Mitglieder von „Jewish Voice for Peace“ und haben sich Schreiduelle mit israeltreuen Kommilitonen geliefert. Nun aber hält die Polizei beide Seiten auseinander. Ohnehin hat die Universitätsleitung den Campus sperren lassen. Dort haben schon vor einiger Zeit Studenten Zelte aufgeschlagen; eine Sitzblockade für Gaza und ein Protest gegen Benjamin Netanyahus Feldzug.
Unis kommen nicht zur Ruhe
Der Unterricht ist nun Online, aber die Universität kommt nicht zur Ruhe. Anfang der Woche haben Columbia-Studenten den Auftakt zu den Pessach feierlich begangen, aus Solidarität. „Wir wollen den Exodus der Juden aus dem Zionismus“, erklärte die Kapitalismuskritikerin Naomi Klein, eine von vielen Intellektuellen, die die studentischen Besetzer in diesen Tagen besucht hat. Pessach geht auf den Auszug der Juden aus Ägypten vor mehr als 3000 Jahren zurück, als Moses die Israeliten in das gelobte, allerdings nicht seit gestern heftig umstrittene Land führte.
Umstritten sind auch die Proteste an der Ivy League-Uni. Präsidentin Nemat Shafik, die aus Ägypten stammt, hat bereits mehr als hundert Studenten verhaften lassen, darunter die Tochter von Ilhan Omar, eine von zwei muslimischen Repräsentanten in Washington. Erst am Freitag wurde ein Student der Uni verwiesen, nachdem ein Video von ihm aufgetaucht war, wo er sagte, Zionisten verdienten es nicht zu leben.
Rückzug von Großspendern
Shafik fürchtet, ihren Job zu verlieren, wie schon zwei Universitätsleiterinnen vor ihr. Letzte Woche stellte sie sich einer Anhörung im Kongress, wo ihr vorgeworfen wurde, jüdische Studenten nicht vor Sprechchören zu schützen. Aber auch der Rückzug von Großspendern könnte Probleme bereiten. Robert Kraft, der Eigentümer des Footballteams New England Patriots kündigte bereits an, der Columbia die Unterstützung zu entziehen, der antisemitischen Gewalt wegen, wie er sagte.
Darüber denken auch andere Milliardäre laut nach, wie Len Blavatnik, der in Odessa geborene Besitzer von Warner Music oder der Hedgefonds-Manager Leon Cooperman. Allerdings zahlen auch Studenten, darunter viele aus dem Ausland, hohe Studiengebühren, deshalb muss Shafik auch hier vorsichtig sein. Sie steht deshalb ohnehin unter dem Druck des Aufsichtsrats der Universität. Der wirft der Präsidentin vor, Studenten zu bespitzeln und deren Meinungsfreiheit zu blockieren.
Von Texas bis Kalifornien
Derweil greifen die pro-palästinensischen Studentenproteste um sich. Die City University of New York hat sich angeschlossen, die New York University, auch das City College in Harlem, wo die weniger Wohlhabenden hingehen, anders als an der Ivy League Uni. Und auch die New School, wo in den 1930er-Jahren vor den Nazis Geflüchtete lehrten, darunter Hannah Arendt, Leo Strauss und Erich Fromm.
Die Proteste beschränken sich nicht mehr auf New York City. Auch in Harvard campen Studenten auf dem Gelände, in Yale, am MIT, an der Brown University, in mehreren Unis in Kalifornien und sogar in konservativen Staaten wie Florida, Arizona, Tennessee und Texas. Die University of Southern California hat zuerst die Festrednerin für die alljährliche Abschlussfeier gecancelt, nachdem die eine israelkritische Rede ins Netz gestellt hatte, und dann die Feier selbst. Mehr als 500 Studenten wurden bisher landesweit verhaftet.
Johnson will die Nationalgarde schicken
Mitte dieser Woche hatte Mike Johnson, der Sprecher der Republikaner, die Columbia besucht. Der konservative Evangelikale wollte mit jüdischen Studenten beten. Johnson hat sich auch für Militärhilfe für Israel eingesetzt, gegen den Willen des rechten Flügels. Nun fordert er, aber auch andere Republikaner Joe Biden auf, die Nationalgarde zu schicken. Eine traumatisierende Erinnerung für Amerika. Während der Proteste im Vietnamkrieg erschossen Nationalgardisten vier protestierende Studenten in Kent State, nachdem die ein Unigebäude in Brand gesteckt hatten. Biden müsste allerdings auf den Kopf gefallen sein, wenn er der Forderung nachgibt.