Nach der Amtseinführung eines Übergangs-Präsidialrats im Krisenstaat Haiti ist der bisherige Interims-Premierminister Ariel Henry zurückgetreten. Seine Nachfolge tritt übergangsweise der bisherige Finanzminister Michel Patrick Boisvert an, wie haitianische Medien am Donnerstag berichteten. Kurz zuvor waren in der Früh (Ortszeit) im Präsidentenpalast in der Hauptstadt Port-au-Prince die neun Mitglieder des Übergangsrats vereidigt worden.

Dieser soll eine neue Interimsregierung ernennen, den Weg hin zu den ersten Wahlen in dem Karibikstaat seit 2016 ebnen und eine vom UNO-Sicherheitsrat genehmigte multinationale Sicherheitsmission in Haiti unterstützen.

Der Rat setzt sich aus Vertretern verschiedener politischer, zivilgesellschaftlicher, Wirtschafts- und religiöser Gruppen zusammen - sieben der Mitglieder sind stimmberechtigt. Die Schaffung des Rats war am 11. März bei einem Treffen der Karibischen Gemeinschaft CARICOM in Jamaika als Ausweg aus der schweren Staats- und Sicherheitskrise in Haiti vereinbart worden. Seitdem war über seine Zusammensetzung verhandelt und gestritten worden.

Henry hatte seinen Rücktritt angekündigt, sobald der Rat steht. Der Neurochirurg regierte seit kurz nach der Ermordung des Präsidenten Jovenel Moïse im Juli 2021. Wegen der heftigen Gewalt mächtiger Banden, die Henrys Rücktritt forderten, kehrte er von einer Auslandsreise Ende Februar nicht zurück.

Bandenchef bestand auf Teilnahme

Die Einsetzung des Übergangsrates hatte sich wochenlang verzögert, weil hinter den Kulissen ein heftiger Machtkampf zwischen verschiedenen politischen Gruppierungen tobte. Der mächtige Bandenchef Jimmy „Barbecue“ Chérizier bestand am Mittwoch darauf, dass die Banden an den Gesprächen über die politische Zukunft Haitis beteiligt werden müssten. Die rivalisierenden Banden kämpfen vor allem in der Hauptstadt um ihre Territorien.

Schon vor der jüngsten Eskalation kontrollierten nach UNO-Angaben bewaffnete Gruppen etwa 80 Prozent von Port-au-Prince. Mehr als 1.500 Menschen wurden in den ersten drei Monaten des Jahres getötet, rund 95.000 innerhalb eines Monats aus der Hauptstadtregion vertrieben. Eine bereits bestehende Hungerkrise verschärfte sich. Alle Linienflüge fielen aus, ausländische Diplomaten und Bürger wurden aus Haiti evakuiert.

Die Hälfte der mehr als elf Millionen Einwohner des Landes leidet nach UNO-Angaben unter akuter Ernährungsunsicherheit, mehr als 360.000 Menschen sind auf der Flucht. Bewaffnete, vermutlich Bandenmitglieder, haben diese Woche erneut den wichtigsten Importterminal für Treibstoff beschlagnahmt und dessen Schließung gefordert. Ohne Treibstoff können beispielsweise die Krankenhäuser in Haiti nicht weiter betrieben werden.