Das außerordentliche Treffen der Staats- und Regierungschefs begann feierlich: König Philippe hatte zum Empfang geladen. Doch der festliche Rahmen zum Auftakt täuschte nicht darüber hinweg, dass spätestens beim Abendessen im Ratsgebäude auf die Teilnehmer ernsthafte Debatten warteten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war per Video zugeschaltet und bat einmal mehr dringlich um Unterstützung – die Sorge wächst, dass angesichts weiterer Krisen die Ukrainer aus dem Fokus verschwinden. Denn großes Augenmerk galt dem Nahen Osten. „Der Europäische Rat verurteilt den iranischen Angriff auf Israel aufs Schärfste und bekräftigt seine uneingeschränkte Solidarität mit dem israelischen Volk sowie sein Engagement für die Sicherheit Israels und für regionale Stabilität“, heißt es im letzten Entwurf der Schlussfolgerungen. Diskutiert wurde also eine Ausweitung der Sanktionen, sie sollen insbesondere die Produktion von Drohnen und Raketen betreffen. Der Gipfel spricht sich auch für ein „Ende der Krise in Gaza“ aus mit sofortigem Waffenstillstand, doch wenn es um den Umgang mit Palästina geht oder die Reaktion Israels auf den iranischen Angriff, driften die Positionen auseiander.
Man müsse Teheran signalisieren, dass „diese Eskalationsstufe in eine Sackgasse führt“, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor Beginn des Treffens. Der direkte Angriff sei ein Paradigmenwechsel gewesen, die Weltgemeinschaft werde nicht akzeptieren, dass mehr Unsicherheit in die gesamte Region komme. Gegenmaßnahmen Israels müssten „maßvoll erfolgen, ohne einen Flächenbrand auszulösen“. Für Österreich sei bei dem EU-Gipfel auch der Krieg Israels gegen die radikal-islamische Terrororganisation Hamas im Gazastreifen ein großes Thema. Nach wie vor befinde sich eine österreichisch-israelische Geisel in den Händen der Hamas. Österreich unterstütze alle Bemühungen für eine Freilassung der Geiseln und einen humanitären Zugang und sei nach wie vor an der Seite Israels in der Frage der Zerstörung des terroristischen Teils der Hamas, sagte Nehammer. Dies sei auch wichtig für die Sicherheit der Europäischen Union. Gleichzeitig lege Österreich Wert darauf, humanitäre Hilfe für den Gazastreifen möglich zu machen.
Keine Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
Zu den ebenfalls am Abend diskutierten Beziehungen zur Türkei sagte Nehammer, das sei geostrategisch sehr wichtig, es brauche aber neue Konzepte. Ein Neustart der Beitrittsverhandlungen mache keinen Sinn.
Am Donnerstag wird sich der Gipfel mit der wirtschaftlichen Neuausrichtung der EU beschäftigen. Eine der Grundlagen dafür liefert ein 146 Seiten starker Bericht des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta, der mittlerweile veröffentlicht wurde. Die Ersparnisse aus der gesamten EU sollen besser in Investitionen zur digitalen und grünen Transformation umgeleitet werden, so die Idee. Dafür müssten aber auch die Aufsichtsaufgaben und die Fiskalpolitik stärker zentralisiert und harmonisiert werden. Der Bericht geht auch auf Fragen der EU-Erweiterung ein und schlägt ein Europäisches Unternehmensrecht vor, das vor allem kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zugute kommen soll. Letta kritisiert in seinem Bericht auch eklatante Lücken in Europas Bahnverbindungen. Das „eklatanteste Paradoxon“ der EU-Infrastruktur sei, dass es unmöglich sei, mit Hochgeschwindigkeitszügen zwischen europäischen Hauptstädten zu reisen, so der Autor.