Das iranische Regime gibt sich nach dem Drohnen- und Raketenangriff auf Israel zufrieden. Den Israelis sei eine Lehre erteilt worden, sagten Spitzenpolitiker nach dem Angriff vom Sonntag, während Staatsmedien feiernde Menschen in iranischen Städten zeigten. Doch die Feiern blieben klein, von patriotischem Enthusiasmus für eine Konfrontation mit Israel ist nichts zu sehen, im Gegenteil. Trotz der staatlichen Kontrolle über die meisten Medien wird Kritik am Kurs von Revolutionsführer Ali Khamenei laut. Das Regime reagiert mit Strafverfahren und Drohungen gegen Kritiker.
Abbas Abdi, ein prominenter Intellektueller und Regimekritiker, warf Khameneis Regierung in einem Beitrag für die Reform-Zeitung „Etemad“ vor, nach dem israelischen Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus vor zwei Wochen zum Opfer ihrer „eitlen“ Parolen geworden zu sein. Der Iran hätte nicht auf den israelischen Angriff antworten müssen, schrieb er. Israel sei dem Iran militärisch überlegen. Außerdem stellte Abdi eine Grundposition der iranischen Außenpolitik in Frage: Israel das Existenzrecht abzuerkennen, bringe nichts. „Die Kosten eines Krieges wiegen viel schwerer als die Vorteile, selbst im Falle eines Sieges.“
Hier ein Erklärvideo zum Iran und zur Kriegsgefahr im Nahen Osten:
„Ein großes Risiko für das Land“
Die iranische Justiz leitete gegen Abdi ein Verfahren wegen des Verdachts auf „Verunsicherung der Gesellschaft“ ein. Daneben gebe es mindestens noch ein weiteres Verfahren gegen einen anderen Journalisten wegen desselben Vorwurfs, meldete der Exil-Oppositionssender Iran International.
Regimekritische Journalisten sind im Iran mit ihrer Meinung allerdings nicht allein. Nur etwa zehn bis fünfzehn Prozent der Iraner unterstützten das Regime und die aggressive Israel-Politik, schätzt der türkische Iran-Experte Arif Keskin. „Viele Iraner fürchten den Konflikt zwischen dem Regime und Israel als großes Risiko für das Land“, sagte Keskin unserer Zeitung. „Sie betrachten den Konflikt mit Sorge und Furcht. Für sie ist am wichtigsten, dass es keinen Krieg gibt. Deshalb treibt der Konflikt mit Israel die Entfremdung zwischen dem Regime und vielen Iranern voran.“
Oppositionelle Iraner werfen dem Regime schon lange vor, mit riskanten und kostspieligen außenpolitischen Abenteuern im Nahen Osten die Sicherheit des Landes aufs Spiel zu setzen und Geld zu verpulvern, statt sich um die Lösung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme im Iran zu kümmern. Der Exil-Oppositionspolitiker Reza Pahlavi, Sohn des letzten iranischen Schahs, sagte im Sender Sky, Teheran habe Milliardensummen für Waffen ausgegeben, die nicht funktionierten, „während die Iraner für Brot und Benzin Schlange stehen müssen“.
Ein iranischer Lehrerverband erklärte im Kurznachrichtendienst Telegram, am Ende würden die Armen und Schwachen den Preis für den iranischen Angriff auf Israel zu bezahlen haben. An Hauswänden im Iran sollen nach Oppositionsangaben pro-israelische Parolen wie „Israel, schlag‘ zu!“ aufgetaucht sein. Ali Fathollah-Nejad, Gründungsdirektor der Berliner Denkfabrik CMEG, sagte der Kleinen Zeitung, das iranische Regime stecke in einer „tiefen Legitimitätskrise“.
Israel hat viele Optionen für Vergeltungsschläge
Wie und wann Israel angreifen wird, stand am Dienstag nicht fest. Der jüdische Staat könnte iranische Atomanlagen oder Raketenstützpunkte unter Beschuss nehmen – die iranische Flugabwehr dürfte nicht stark genug sein, solche Bombardements abzuwehren. Israelische Angriffe auf iranische Hilfstruppen im Libanon, im Irak oder in Syrien sind ebenfalls möglich. In der Vergangenheit hatte Israel auch iranische Atomwissenschaftler ermordet oder iranische Computernetze mit Viren außer Gefecht gesetzt.
Sollte die israelische Antwort das iranische Regime öffentlich demütigen, etwa indem die iranischen Streitkräfte vor aller Welt blamiert würden, könnte der innenpolitische Widerstand gegen die Islamische Republik wachsen. Schah-Sohn Pahlavi bringt die Opposition für diesen Fall bereits in Position: „Nicht der Iran führt hier Krieg, sondern Ali Khamenei“, erklärte er.
Manche Oppositionelle fordern, der Westen müsse die Konsequenzen aus dem iranischen Angriff auf Israel ziehen und seine „Beschwichtigungspolitik“ gegenüber Teheran aufgeben. „Die meisten Menschen im Iran sind gegen den Angriff auf Israel und gegen einen Krieg“, sagte die deutsch-iranische Aktivistin Daniela Sepehri zur Kleinen Zeitung. Schon bei der Protestwelle von 2022 hätten iranische Demonstranten gewarnt, „dass das Regime eines Tages Israel angreifen würde, wenn der Westen nicht mit dem Appeasement aufhört“. Westliche Regierungen hätten aber nicht zugehört, kritisierte Sepehri – „und tun jetzt überrascht“.