Das Einzige, was blieb, war ein überdimensionaler Bildschirm, auf dem ein Satz in roten Buchstaben flackerte: „Kommen Sie mit uns zu den Demonstrationen, um unseren Rufen Gehör zu verschaffen. Alle! Jetzt!“ Die Stimmung ist gekippt. Fast sechs Monate nach den Massakern des 7. Oktobers ist die Geduld vieler israelischer Angehörigen der Geiseln in Gaza am Ende. Die Familien wollen nicht mehr stillschweigend darauf warten, dass etwas geschieht. Sie werden keine separaten Kundgebungen auf dem Platz der Geiseln in Tel Aviv mehr abhalten, sondern schließen sich den Protesten gegen die Regierung an. Eli Albag, Vater der von der Hamas festgehaltenen 19-jährigen Liri, sagte: „Dies ist der letzte Schabbat, an dem wir hier sein werden. Sie werden uns an diesem Ort nicht mehr antreffen. Wir schalten das Licht aus.“ Netanjahu steht zusätzlich unter Druck der orthodoxen Bevölkerung, nachdem gestern die seit Jahrzehnten geltende Ausnahmen für ultraorthodoxe Männer bei der Wehrpflicht ausgelaufen sind.
Auch die Verhandlungen über eine Feuerpause im Gazastreifen, an die eine Geiselfreilassung gebunden sein könnte, scheinen nicht voranzukommen. Rund zwei Wochen nach Beginn des Militäreinsatzes im Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt hat die israelische Armee sich in der Nacht auf Montag wieder zurückgezogen. Netanjahu sprach von 200 getöteten Terroristen; der von der Hamas kontrollierte Zivilschutz sprach von 300 Toten.
Zur selben Zeit fanden am Samstagabend im ganzen Land Proteste gegen die Koalition in Jerusalem mit Zehntausenden Menschen statt. Immer wieder forderten die Demonstrantinnen und Demonstranten den Sturz Netanyahus und skandierten: „P’chirot Achschaw!“, „Wahlen jetzt!“. Während der Proteste nahmen Sicherheitskräfte an mehreren Orten mehr als ein Dutzend Personen fest und setzten in Tel Aviv Wasserwerfer ein.