An der Wand im Besprechungssaal im Vatikangästehaus Santa Marta, wo Franziskus lebt, arbeitet und empfängt, hängt eine Kopie des berühmten Gemäldes der „Maria Knotenlöserin“. Sie ist das Sinnbild seines Pontifikats. Der Papst ist körperlich angeschlagen, versucht aber immer noch persönlich die unzähligen Fragen im Dickicht der katholischen Kirche zu klären. Manchmal sorgt er selbst für Missverständnisse. Neulich löste Franziskus wieder so einen kleinen Sturm aus. Eigentlich wollte er sagen, der Krieg in der Ukraine solle endlich aufhören, die Konfliktparteien sollten Verhandlungen aufnehmen. Weil der Papst mit dem lockeren Mundwerk aber das Bild von der „weißen Fahne“ gebrauchte, gab es einen Proteststurm. Franziskus habe die Ukraine zur Kapitulation aufgefordert, hieß es. Es mag sein, dass das Pontifikat zu Ende geht. Ruhig geworden ist es jedenfalls nicht um den Papst.

Heute erscheint eine Autobiografie, die man durchaus als eine Art Vermächtnis lesen kann. „Leben. Meine Geschichte in der Geschichte“ heißt das bei HarperCollins erscheinende Buch, das der Papst zusammen mit dem italienischen Vatikanjournalisten Fabio Marchese Ragona verfasst hat. Der 87-Jährige hat gerade das zwölfte Jahr seines Pontifikats begonnen, von dem er einmal ausging, dass es „eher kurz“ sein würde. Zeit für Rückblicke, Zeit für Einordnungen. Endzeitstimmung im Vatikan?

Er liebt Süßigkeiten

Seit Jahren plagt ihn der Ischias, 2023 zwang ihn eine Divertikulitis ins Krankenhaus. Das Knie schmerzt. Ständig erkältet er sich, leidet immer wieder an Bronchitis. Oft lässt sich Franziskus bei öffentlichen Ansprachen vertreten. Immer öfter ist er auf den Rollstuhl angewiesen. Er liebt Süßigkeiten, aber kann sich nur noch wenig bewegen. Sein Bauch ist sichtbar gewachsen in den vergangenen Jahren. Einen Grund, sein Amt niederzulegen, sieht er aber nicht. „Die Dinge würden sich ändern, wenn eine schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigung einträte.“ In dem Fall „würde ich mich nicht emeritierter Papst, sondern einfach emeritierter Bischof von Rom nennen lassen und nach Santa Maria Maggiore umziehen, um wieder die Beichte abzunehmen und den Kranken die Heilige Kommunion zu spenden.“

Franziskus erzählt seine eigene Geschichte und sein eigenes Denken an Weltereignissen entlang. Von der Kubakrise über die argentinische Militärdiktatur bis zur Fußball-WM 1986. Auch der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. im Februar 2013 ist Thema – und wie Jorge Bergoglio seine eigene Wahl lange nicht kommen sah. Aus dem Leben Bergoglios hat der Leser zuvor erfahren, wie es ist, wenn sich ein späterer Papst und damaliger Seminarist verliebt in „ein Mädchen, dessen Schönheit und Intelligenz mir den Kopf verdrehten“. Eine Zeit, aus der die Gerüchte stammen, der Papst sei Kommunist. Und mehr noch: Ein befreundeter Kardinal habe ihm erzählt, dass er von einer sehr gläubigen Katholikin für den Antichristen gehalten wurde. „Und warum? Weil ich keine roten Schuhe trage! Doch wer über die Armen spricht, ist nicht automatisch Kommunist“, schreibt Franziskus, der sich des Öfteren nicht an die traditionelle Kleiderordnung hält.

Kritik von allen Seiten

Ultrakonservativ, Kommunist, Antichrist? Was denn nun? Wer ist Franziskus? Auch heute hat er viele Kritiker – auf beiden Seiten. Die Linkskatholiken in Deutschland sind verbittert, dass er die Reformen des Synodalen Wegs ausbremst. Die Traditionalisten in Rom werfen Franziskus vor, das Papsttum zu zerstören. Doch alle Kritiker sind einigermaßen machtlos gegenüber diesem scheinbar schwächelnden Papst. Abwarten, lautet also die Devise.

Doch immer noch bringt der angeschlagene Franziskus die Kraft auf für das eine oder andere Revolutiönchen. Etwa als er vergangenen Dezember die Segnung homosexueller Partner erlaubt. Undenkbar unter seinen Vorgängern. Ob es nach vorne gehen wird, zurück, oder die Kirche auf der Stelle tritt, ist ungewiss. Einig sind sich die Kenner nur darin, dass die nächste die schwierigste Papstwahl seit Langem werden könnte.