Der Plan klang diplomatisch, aber er hat es in sich. „Wir sind bereit, uns alle Optionen anzuschauen, um den maximalen Effekt für die Ukraine zu erzielen“, sagte der britische Außenminister David Cameron der „Süddeutschen Zeitung“. Im Kern heißt das: Ringtausch – Großbritannien schickt der militärisch in Bedrängnis geratenen Ukraine zusätzliche eigene Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow. Die Lücke in britischen Arsenalen füllt Deutschland mit der Lieferung von Taurus-Raketen.
Die britische Regierung bringt mit dem Plan den deutschen Kanzler Olaf Scholz mächtig in Bedrängnis. Der hatte die Lieferung der Taurus-Raketen mit einer doppelten Begründung abgelehnt. Erstens könne die Rakete mit einer Reichweite von 500 Kilometern auch russisches Gebiet treffen.
Zweitens sei ein Taurus-Einsatz ohne Bundeswehrsoldaten, etwa bei der Zielprogrammierung, nicht denkbar. Deutschland würde in dem Konflikt unvermittelt zur Kriegspartei. „Ich bin der Kanzler. Und deshalb gilt das“, definierte Scholz zuletzt bei einem Schulbesuch seine Richtlinienkompetenz.
„Scholz’ Rhetorik macht uns schwächer, als wir sind“
Die Richtlinie des Kanzlers gerät nun kräftig ins Wanken. Schon in der Debatte über die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern hatte ein Ringtausch – damals mit Tschechien – politische Blockaden gelöst. Nun ist die Lage für den Kanzler kniffliger. Die britischen Verbündeten waren wenig erfreut, dass Scholz öffentlich über den Einsatz britischer Soldaten bei der Raketensteuerung in der Ukraine sinnierte. Nun bringt Cameron den deutschen Regierungschef mit dem Vorstoß für einen Ringtausch in die Defensive. Nicht nur außenpolitisch.
Außenministerin Annalena Baerbock nannte den britischen Vorstoß in der ARD „eine Option“. Zuvor hatte die Grünen-Politikerin schon erklärt, für sie sei die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine denkbar. Die Union beharrt sogar auf die Lieferung von Taurus-Raketen. Es sei das „beste System“, so Verteidigungsexperte Johann Wadephul (CDU). Die Abgeordneten Norbert Röttgen (CDU) und Anton Hofreiter (Grüne) halten dem Kanzler in einem gemeinsamen Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vor: „Scholz’ Rhetorik macht uns schwächer, als wir sind.“
Zur Erinnerung: Scholz hatte den Vorstoß des französischen Staatschefs Emmanuel Macron zurückgewiesen, die Entsendung westlicher Bodentruppen in die Ukraine bei einer Zuspitzung der militärischen Lage zu erwägen.
Historisch unklarer Kurs
Die Vermutung des schwarz-grünen Duos Röttgen-Hofreiter: Der Kanzler schielt im Europa- und aufziehenden Bundestagswahlkampf auf eine Friedensdividende: „Die Botschaft soll lauten: Euer Kanzler hat auch aus dem Krieg herausgehalten.“ Kleiner Exkurs: Der schlingernde Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte 2002 in fast aussichtsloser Lage auch mit dem Nein zum Irakkrieg die Bundestagswahl noch gewonnen. Zieht die deutsche Kriegsmüdigkeit wieder?
Scholz sucht im Ukrainekonflikt stets Anlehnung an die USA und Präsident Joe Biden. Den Kampfpanzer Leopard-2 aus deutschen Beständen gab’s für die Ukraine erst, als die USA auch den eigenen Abrams lieferten. Und beim Abrücken von der Gaspipeline Nord Stream 2 brauchte Scholz vor zwei Jahren bei einem Besuch im Weißen Haus die Formulierungshilfe des US-Präsidenten. „Er hat das Vertrauen der Vereinigten Staaten.“
Deutschland hat nach 1989 die Verbündeten stets überrascht. Es folgte dabei nie einer klaren Linie. Schröder blieb 2002 dem Irakkrieg fern (Begründung: fehlendes UN-Mandat). Außenminister Guido Westerwelle sagte Nein zum Libyen-Luftwaffeneinsatz der Bundeswehr (trotz UN-Mandats). Das militärische Kalkül ist weiter keine Kategorie der bundesdeutschen Politik.
Wehrpflicht nach schwedischem Modell
Nur einer denkt um: Verteidigungsminister Boris Pistorius. „Wir müssen kriegstüchtig werden“, hatte der SPD-Politiker zuletzt gemahnt. Nach dem ersten Sturm der Entrüstung schob er zur Erläuterung nach, es gehe ihm um die Verteidigungsbereitschaft. Nun geht Pistorius noch einen Schritt weiter. Bis 1. April sollen im Ministerium Vorschläge für eine Rückkehr zur Wehrpflicht kommen. Die war zum 1. Juli 2011 ausgesetzt worden.
In der vergangenen Woche reiste Pistorius durch Skandinavien. Er findet Gefallen an der schwedischen Lösung. Nach Russlands Annexion der Krim war man dort zu einer Wehrpflicht light zurückgekehrt. Alle Männer und Frauen eines Jahrgangs werden gemustert. Aus diesem Pool fahnden die Militärs nach geeigneten Bewerbern. „Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen“, mahnte Pistorius. Es geht also um ein neues Mindset. Der Krieg ist zurück in Europa. Diese bittere Erkenntnis ist noch nicht bei allen angekommen.