Malcolm X, Fidel Castro und Thomas Sankara - der Bandenchef Jimmy Chérizier, genannt „Barbecue“, stellt sich gerne in eine Reihe mit prominenten Revolutionären und Freiheitskämpfern. In Interviews bezeichnet er sie als seine Vorbilder. In den Armenvierteln von Port-au-Prince wird er auf Wandgemälden gerne mit Ernesto „Che“ Guevara. Ein schmeichelnder Vergleich für den 47-Jährigen.
Gemeinsam mit seiner Bande „G9“ hat „Barbecue“ einen Aufstand gegen die haitianische Regierung angezettelt, der in den vergangenen Tagen eskaliert ist. Normalerweise kämpfen die Gangs, die weite Teile des Landes kontrollieren, gegeneinander um Einfluss und Territorium. Doch vergangene Woche haben sie sich gemeinsam gegen die Regierung gestellt. Seitdem greifen sie strategisch wichtige Infrastruktur wie Flughäfen, die Polizeiakademie und Gefängnisse an. Dutzende Menschen wurden getötet, tausende Häftlinge entkamen. Die Situation auf Haiti ist seitdem so gefährlich, dass Botschafter das Land verlassen und der Papst seine Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht hat.
Haitis Regierungschef Ariel Henry zurückgetreten
Chérizier und seine Verbündeten forderten den Rücktritt von Regierungschef Ariel Henry. Der Premier sollte eigentlich Anfang Februar aus dem Amt scheiden. Stattdessen einigte Henry sich zuerst mit der Opposition darauf, bis zu Neuwahlen innerhalb eines Jahres gemeinsam zu regieren. Angesichts der eskalierenden Bandengewalt kam es nun doch anders. Der Vorsitzende des karibischen Staatenbündnisses Caricom, Guyanas Präsident Mohamed Irfaan Ali, gab am Montag den Rücktritt von Ariel Henry bekannt. Es gebe eine Vereinbarung für eine Übergangsregierung und eine „friedliche Machtübergabe“, sagte Ali bei einem Treffen in Jamaica.
Chérizier verteidigt Taten
„Es kann nicht sein, dass eine kleine Gruppe von Reichen, die in großen Hotels leben, über das Schicksal der Menschen in den Armenvierteln entscheidet“, verkündete Chérizier kürzlich, umringt von Maskierten, vor einer Gruppe Journalisten. Chérizier sieht sich gerne in den internationalen Schlagzeilen und sucht gerne das Gespräch mit der Presse. In der jüngeren Vergangenheit hat er mehrere Pressevertreter zu sich eingeladen, in der Hoffnung, seine Taten auf dem internationalen Parkett zu rechtfertigen: „Ich bin kein Dieb. Ich bin nicht an einer Entführung beteiligt. Ich bin kein Vergewaltiger. Ich führe nur einen sozialen Kampf“, sagte der Verbrecherboss im vergangenen Jahr zur Associated Press.
Es ist nicht das erste Mal, dass er für Aufsehen sorgt. Denn bevor er zum Gangleader wurde, war Chérizier Mitglied der Nationalpolizei des Landes, genauer gesagt, einer Einheit der Bereitschaftspolizei, deren Mitglieder beschuldigt wurden, Demonstranten erschossen zu haben. 2018 wurde er wegen angeblicher Beteiligung Verbrechen aus dem Militärdienst ausgeschlossen. Eines dieser Verbrechen soll ein Massaker in dem Slum „La Saline“ gewesen sein, bei dem 71 Menschen getötet, sieben Frauen vergewaltigt und 400 Häuser niedergebrannt wurden. Die USA und die UNO belegten Chérizier mit Sanktionen. Er war einer der ersten, gegen den die UNO im Oktober 2022 die neuen Strafmaßnahmen gegen Bandenmitglieder verhängte. Seither darf er nicht mehr reisen und sein Vermögen wurde eingefroren.
Bandenführer mit eigener Agenda
Als „kriminellen Geschäftsmann“ bezeichnet ihn Louis-Henri Mars, Direktor der haitianischen gemeinnützigen Organisation Lakou Lapè im Gespräch mit dem Guardian. Bitten, Angriffe auf ein Viertel in Port-au-Prince zu stoppen, ignorierte Chérizier: „Er hört zu, aber am Ende tut er, was in seinem besten Interesse ist.“
Angeblich war Chérizier ein enger Vertrauter des ermordeten Präsidenten Jovenel Moïse, dessen Tod im Jahr 2021 Auslöser für das aktuelle Chaos war. Beobachter der politischen Situation auf Haiti vermuten, dass „Barbecue“ selbst politische Ambitionen hat. „Barbecue ist fesselnd und wirklich ein natürlicher Politiker“, schrieb Stuart Ramsay, Sky News-Korrespondent, im Jahr 2023.
Chérizier soll seine Mitmenschen mit kleinen Gesten täuschen und manipulieren: zum Muttertag verschenkt er Blumen oder hilft Familien dabei, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Doch Diego Da Rin, Haiti-Spezialist der International Crisis Group, erklärt, dass den Leuten dabei nicht bewusst ist, dass Chérizier und seine G9, die mehrere tausende Mitglieder zählt, Mitschuld an der schrecklichen Lage auf Haiti tragen.