Nach ersten Untersuchungen ist ein „individueller Anwendungsfehler“ verantwortlich dafür, dass das Gespräch hochrangiger Offiziere der deutschen Armee über das Taurus-Waffensystem von Russland abgehört werden konnte. Das sagte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius am Dienstag in Berlin. Der Fehler gehe auf einen Teilnehmer zurück, der von Singapur aus an dem Gespräch teilnahm. Er habe sich über eine „nicht sichere Datenleitung“ eingewählt, Mobilfunk oder WLAN.
Keine persönlichen Konsequenzen
Dass ein russischer Spion an dem Gespräch teilgenommen hat, ohne bemerkt worden zu sein, schloss Pistorius aus. Der Verteidigungsminister sagte, dass disziplinarische Vorermittlungen gegen alle vier Teilnehmer des Gesprächs eingeleitet worden seien. Er betonte aber auch: „Persönliche Konsequenzen stehen derzeit nicht auf der Agenda.“ Er werde „niemanden meiner besten Offiziere Putins Spielen opfern“, betonte Pistorius.
Am Freitag hatte Russland eine mitgeschnittene Onlinekonferenz von vier hohen Offizieren, darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz, veröffentlicht. Darin erörterten diese Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper Taurus, falls dieser doch noch an die Ukraine geliefert werden sollte. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat das zum jetzigen Zeitpunkt ausgeschlossen und sein Nein damit begründet, dass Deutschland dann in den Krieg hineingezogen werden könnte. Am Montag bekräftigte er seine Position und sagte: „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.“ Taurus hat eine Reichweite von 500 Kilometern und kann damit von der Ukraine aus auch Ziele in Moskau treffen.
Pistorius sieht nach Gesprächen mit Verbündeten wegen der Abhöraffäre keine Beschädigung des Vertrauens in den Nato-Partner Deutschland. Er habe in Gesprächen am Montag keine Verärgerung wahrgenommen, sagte der SPD-Politiker am Dienstag in Berlin. Dass Russland einen Mitschnitt des Gesprächs deutscher Offiziere über einen Einsatz des Taurus-Marschflugkörpers durch die Ukraine anfertigen konnte, sei zwar ein schwerer Fehler. Dieser sei aber eben laut dem Zwischenergebnis nicht durch vermeintlich unsichere Kommunikationssysteme der Bundeswehr, betonte der Verteidigungsminister. Disziplinarische Vorermittlungen seien gegen alle Teilnehmer der Schaltkonferenz eingeleitet worden, was aber keine Vorverurteilung bedeute.
Die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag hat laut ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer Thorsten Frei eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses wegen der russischen Abhöraktion gegen Offiziere der deutschen Luftwaffe noch für diese Woche beantragt. Das sagte der CDU-Politiker am Dienstag in der Früh im Radiosender WDR5. Nach der russischen Abhöraktion diskutieren Regierung und Opposition in Deutschland weiter über notwendige Konsequenzen.
Er hielte es für unverantwortlich, nach der Veröffentlichung der Mitschnitte noch über eine Woche zu warten, bis entscheidende Fragen gegenüber dem Parlament geklärt werden, sagte Frei hinsichtlich der Ausschusssitzung. Mahnungen, man dürfe sich von Russland nicht spalten lassen, entgegnete er, die CDU/CSU agiere „ohne Schaum vor dem Mund“. „Es gibt ein legitimes Aufklärungsinteresse, darum geht es uns“, betonte der CDU-Politiker.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hatte eine Sondersitzung für kommenden Montag in Aussicht gestellt. „Bis dahin haben wir auch mehr Informationen“, sagte die Ausschussvorsitzende der „Rheinischen Post“ (online Montag/Print Dienstag). „Wir werden darüber beraten, inwieweit unsere Institutionen auf einen hybriden Angriff vorbereitet sind.“ Sie erwarte auch von der Opposition, mit Ernsthaftigkeit, aber auch Souveränität mit der Lage umzugehen. „Putin möchte nämlich nur eines, dass wir jetzt übereinander herfallen.“
Innenministerin Nancy Faeser unterstrich unterdessen die Abwehrbereitschaft deutscher Geheimdienste. „Wir haben unsere Schutzmaßnahmen gegen Spionage und Desinformation weiter hochgefahren und reagieren laufend auf aktuelle Entwicklungen“, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag). „Putins Propaganda-Apparat will unseren Staat diskreditieren, die Meinungsbildung manipulieren und unsere Gesellschaft spalten. All das wird Putin nicht gelingen“, betonte sie. Die Spionageabwehr beim Bundesamt für Verfassungsschutz sei personell und technisch deutlich verstärkt worden. Es bleibe ein wesentlicher Schwerpunkt der Spionageabwehr, die Aktivitäten der russischen Nachrichtendienste zu bekämpfen.
„Dreister und durchschaubaren Versuch der Russen“
Die US-Regierung warf Russland vor, durch die Veröffentlichung des Mitschnitts Misstrauen schüren zu wollen. Es handle sich um einen „dreisten und durchschaubaren Versuch der Russen, Zwietracht zu säen“ und es so aussehen zu lassen, als sei der Westen nicht geeint und als gebe es auch innerhalb der Regierung in Deutschland keine Einigkeit darüber, was sie tue, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, am Montag. Man werde sich dem aber nicht beugen, denn das sei es, was Russland wolle.