Deutschland droht ein neuer Abhörskandal, nachdem es Russland offenbar gelungen ist, militärisch hochbrisante Informationen aus Deutschland abzugreifen. Hintergrund ist ein von russischen Medien veröffentlichter Tonmitschnitt, in dem hochrangige Offiziere der Bundeswehr über den Einsatz von deutschen Taurus-Raketen im Ukraine-Krieg sprechen. Die Regierung in Kiew hat die reichweitenstarken Marschflugkörper schon länger auf ihrer Wunschliste, doch bisher ist vor allem der deutsche Kanzler Olaf Scholz auf der Bremse gestanden.

In dem aufgezeichneten Gespräch, dessen Echtheit die Regierung in Berlin am Samstag bestätigte, ist es unter anderem um die Frage gegangen, ob Taurus-Raketen technisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Krim-Brücke zu zerstören. Ein weiterer Punkt des Gesprächs war, wie man bei der Ausbildung von ukrainischen Piloten und der Programmierung der Systeme helfen könnte.

Den Russen dürfte es vermutlich gelungen sein, das Gespräch abzuhören, weil die Luftwaffenoffiziere die leicht-abhörbare Plattform WebEx nutzten. „Sollte sich diese Geschichte bewahrheiten, wäre das ein hochproblematischer Vorgang“, sagte Konstantin von Notz (Grüne), der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Es stelle sich die Frage, ob es sich um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Sicherheitsproblem handle.

Roderich Kiesewetter, Verteidigungsexperte der CDU sagte gegenüber dem ZDF: „Man muss davon ausgehen, dass das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde in einer bestimmten Absicht. Diese kann nur darin liegen, eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu unterbinden.“

Großbritannien zeigt sich empört

Politisch brisant ist die Aufnahme aber nicht nur wegen der fahrlässigen Handhabung von Sicherheitsprotokollen. Scholz hatte die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine immer wieder mit der Begründung abgesagt, dass dafür deutsche Soldaten in die Ukraine geschickt werden müssten. Die Offiziere schlagen im Gesprächsmitschnitt auch Wege vor, wie die Ukraine die Taurus auch ohne konkrete Übermittlung von Zieldaten durch die Bundeswehr einsetzen könnte. Medienberichten setzten die Offiziere bei ihrem Gespräch voraus, Scholz habe grünes Licht für die Taurus-Lieferung gegeben.

Am Rande eines Besuchs im Vatikan sprach der SPD-Politiker am Samstag von einer „sehr ernsten Angelegenheit“. Auf eine Frage der Deutschen Presse-Agentur dpa nach möglichen außenpolitischen Schäden sagte er: „Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt. Das ist auch notwendig.“ 

Russland hat in Person des ehemaligen Präsidenten Dimitri Medwedew reagiert, der die Deutschen als „historischen Gegner“ bezeichnete. Einen Angriff würde man jedenfalls nicht hinnehmen.

In Großbritannien stieß Scholz auf Unverständnis. Der Kanzler hatte angedeutet, dass die Briten weitere Marschflugkörper wie Storm Shadow und Scalp in die Ukraine schicken würden. Der ehemalige Chef des Verteidigungsausschusses im britischen Parlament, Tobias Ellwood, warf Scholz einen „eklatanten Missbrauch von Geheimdienstinformationen“ vor. Deutschland wolle damit „von seiner eigenen Zurückhaltung ablenken“, sagte Ellwood der Zeitung „The Telegraph“.

Die Spannungen zwischen den westlichen Verbündeten der Ukraine könnten durch den Leak also weiter zunehmen. Das wäre dann im Interesse des Kremls. „Russland wird versuchen, den westlichen Zusammenhalt zu untergraben und mit hybriden Maßnahmen auch Spannungen in westlichen Staaten zu schüren“, sagt der ehemalige Oberst und Vorsitzende der Politisch-Militärischen Gesellschaft e.V., Ralph Thiele, gegenüber Focus.