Viganella ist ein wirklich kleines Dorf im italienischen Piemont, nicht weit von der Grenze zur Schweiz entfernt. Jahrzehntelang wurde der Ort auch das „Dorf ohne Sonne“ genannt. Im Winter erreichte kein einziger Sonnenstrahl jenen im engen Antrona-Tal liegenden Flecken. „Über Jahrhunderte hinweg war Viganella von November bis Februar wie ausgestorben“, erzählt der frühere Bürgermeister Pier Franco Midali. Keine Sonne, also vertrieb sich auch niemand der noch verbliebenen 200 Einwohner die Zeit vor der Haustüre. Alle blieben tagsüber zu Hause, nur zur Arbeit oder für Besorgungen verließ man das Haus. Wenn Anfang Februar die Sonne Viganella wieder erreichte, war es ein Freudenfest.
Ex-Bürgermeister Midali hatte dann auch jene bahnbrechende Idee. Er ließ oberhalb des Ortes einen Spiegel anbringen, der das Sonnenlicht reflektierte und es auf die Piazza von Viganella umleitete. Sieben Jahre dauerte es bis zur Realisierung des Projekts. Im Jahr 2006 wurde der überdimensionale Spiegel 500 Meter oberhalb des Dorfes installiert. Dank einer vom Ingenieur Emilio Barlocco erfundenen Software bewegte sich der Spiegel synchron zur Sonne. Das Dorf hatte nun auch im Winter Sonnenlicht. Die Einweihung war ein internationales Event. Die „New York Times“ berichtete, die „BBC“ und „Al Jazeera“. Viganella war weltweit das erste Dorf mit Sonnenspiegel. 2013 kopierte man im norwegischen Rjukan die Idee.
100.000 Euro Errichtungskosten
Die Lösung des Dilemmas wirkte im Nachhinein recht simpel. 100.000 Euro hatte das Projekt gekostet. Notwendig waren außerdem ein paar Leute um Bürgermeister Midali, die den Spiegel und die Sonne auf der Piazza wirklich wollten. Davon kann heute offenbar keine Rede mehr sein. Denn Viganella hat seinen dunkelsten Winter seit Jahren hinter sich. Offenbar wurde der Spiegel während eines Sommergewitters vom Blitz getroffen und bewegt sich seither nicht mehr. Vom 11. November bis zum 4. Februar war alles in dem Dorf so wie früher auch. Es war finster, die Leute blieben fast durchgehend zu Hause. Der Spiegel oben am Berg blieb reglos in der Sommerposition stehen.
Es sei nicht einfach, das elektronische Bauteil zu finden, das kaputtgegangen ist, behauptet der neue Bürgermeister Stefano Bellotti. Man brauche Zeit, vielleicht könne der Spiegel im kommenden Winter wieder in Betrieb genommen werden. Nun wird berichtet, dass das diesjährige Lichtfest, die Candelora oder volkstümlich Mariä Lichtmess, am 2. Februar in Viganella von besonderem Enthusiasmus begleitet wurde. Denn zwei Tage später wurde es ja endlich wieder Licht im finsteren Dorf, auf natürliche Weise. Die Sonne schien wieder auf der Piazza von Viganella. Am Festtag schmückten die Dorfbewohner nach altem Brauch einen Tannenbaum mit Naturalien wie Salami, Käse oder Keksen als Symbole der Fruchtbarkeit. Die Produkte wurden anschließend auch versteigert. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, den Erlös zur Reparatur des Sonnenspiegels zu verwenden. Sonst droht Viganella der nächste Winter ohne Sonne.