Die ungarische Präsidentin Katalin Novák hat wegen des Pädophilie-Skandals Samstagabend ihr Amt niedergelegt. Novák hatte einen Mann begnadigt, der wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch von Minderjährigen verurteilt worden war. Am Samstag zeigte das ungarische Staatsfernsehen ein Video mit ihrer Rücktrittserklärung. Zuletzt war der Druck von Regierung und Opposition auf die 46-Jährige immer größer geworden.
„Ich habe einen Fehler gemacht. Die Amnestie-Entscheidung und der Mangel einer Begründung waren dazu geeignet, Zweifel hervorzurufen“, erklärte Novák. Als ungarische Bürgerin erwarte sie vom einem Staatsoberhaupt, dass dieses keine Fehler begeht. Und wenn das doch geschehe, dann müsse es die Verantwortung übernehmen, selbst mit der Entscheidung des Rücktritts.
Auch Ex-Justizministerin gesteht Fehler ein
„Ich bitte jene um Verzeihung, die ich gekränkt habe, und ebenso die Opfer, die so empfunden haben könnten, dass ich nicht an ihrer Seite stehe“, sagte Novák. Gleichzeitig mit ihr kündigte auch die Ex-Justizministerin Judit Varga an, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen. Varga hatte die umstrittene Amnestieentscheidung als Ministerin gegengezeichnet. Mit ihrem Rückzug braucht die rechtskonservative Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orbán eine neue Spitzenkandidatin für die Europawahl im Juni.
Die erst im Frühjahr 2022 vom ungarischen Parlament für eine fünfjährige Amtszeit gewählte Novák könnte mit ihrem Rückzug einem Amtsenthebungsverfahren zuvor gekommen sein. Die Regierungspartei Fidesz verfügt im Parlament nämlich über die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit dafür, wobei die Letztentscheidung über die Amtsenthebung beim Verfassungsgerichtshof liegt. Infolge von Nováks Rückzug übernimmt interimistisch Parlamentspräsident László Kövér die Amtsgeschäfte des Staatsoberhaupts.
Die Opposition gab sich mit dem Rücktritt Nováks nicht zufrieden und zeigte in Richtung von Regierungschef Orbán. Niemand glaube ernsthaft, dass Orbán nicht von der Angelegenheit gewusst hätte, erklärte die Partei Momentum. Er sei der Premier, im Namen seiner Regierung hätte die damalige Justizministerin Judit Varga die Begnadigung unterzeichnet, erinnerte Momentum-Chefin Anna Donáth. Sie forderte Orbán auf, sich der Öffentlichkeit zu stellen und sich zu erklären.
Die Demokratische Koalition (DK) kündigte an, im Parlament eine Direktwahl des Staatspräsidenten durch das Volk beantragen zu wollen. Die Bürger und nicht Orbán und das Parlament sollten über das künftige Staatsoberhaupt entscheiden, forderte DK-Europaabgeordnete Klára Dobrev. Novák sei schon das zweite Staatsoberhaupt, das Orbán zum Rücktritt gezwungen habe, erinnerte Dobrev an den im Jahr 2012 über eine Plagiatsaffäre gestolperten Präsidenten Pál Schmitt.
Die Grün-Partei LMP äußerte sich ebenfalls kritisch. Novák habe zwar eine richtige Entscheidung getroffen, doch könne diese den entstandenen Schaden nicht kompensieren, sagte LMP-Vizechef Péter Ungár dem Portal „24.hu“. Auch er wies darauf hin, dass Orbán nun schon zwei Staatspräsidenten zum Rücktritt gezwungen habe. Das sei kein Zufall, sondern die Unfähigkeit zum Konsens und Kompromiss.
Tausende hatten am Freitagabend in Budapest anlässlich des Amnestie-Skandals gegen die ungarische Staatspräsidentin Katalin Novák protestiert - mit Erfolg:
Unterdessen wurde über die Nachfolge Nováks spekuliert. Im Gespräch waren am Samstag Verteidigungsminister Kristóf Szalay-Bobrovniczky und Ex-Justizminister László Trócsányi, einst ungarischer EU-Botschafter in Brüssel, Verfassungsrichter, Botschafter in Paris sowie von 2014 bis 2019 Parlamentsabgeordneter der rechtsnationalen Fidesz-Partei.
Der Politologe Gábor Török bezeichnete den Rücktritt Novák als „Profi-Schadensbegrenzung“, zitierte das Onlineportal „hvg.hu“. Im Machtapparat sei deutlich wahrgenommen worden, dass es sich bei der Amnestie von Novák um eine „lebensgefährliche Angelegenheit“ handelt, für die so schnell wie möglich eine Lösung gefunden werden musste. Die Begnadigung habe die „Politik von Fidesz mitten ins Herz getroffen“, da der Schutz der Kinder eine der wichtigsten Angelegenheiten der Regierung darstelle. „Politisch gesehen ist jetzt wichtig, dass der Öffentlichkeit ein solch bedeutendes Opfer präsentiert wurde, mit dem im Großen und Ganzen die Angelegenheit geregelt wird“, meinte Török.