Ein knisternder Holzofen verbreitet in der Küche von Sonja Leka wohlige Wärme. Das Karstgebiet der kroatischen Lika sei für „sehr lange Winter mit viel Schnee und eiskalten Temperaturen bekannt“, berichtet die 59-Jährige in dem 100-Einwohner-Dorf Ličko Petrovo Selo.
Jahrhundertelang hätten die Männer in der rauen Grenzregion zwischen dem Habsburger und dem Osmanischen Reich als Soldaten und Landwirte auch bei eisigem Wetter an der frischen Luft verbracht, erzählt die Frau: „Sie trugen die Peniswärmer nicht zum Spaß. Sie mussten die Geschlechtsorgane zur Fortpflanzung ihrer Familien schützen.“
Nakurnjak nennt sich der wollene Hüter von Kroatiens Mannesstolz: Als Souvenir erleben die lange in Vergessenheit geratenen, aber heute von Frauenkooperativen wieder gestrickten Spezialwärmer ein erstaunliches Comeback.
Ausschließlich positive Emotionen
Als Geschenk löse der Nakurnjak selbst bei ranghohen Würdenträgern Gelächter und „ausschließlich positive Emotionen“ aus, ist die Erfahrung von Fremdenführerin Leka. Für die Verkaufsregale der Souvenirläden an den nahen Plitwicer Seen sei das selbst gestrickte Utensil aber kaum geeignet: „Der Nakurnjak verkauft sich nur durch die Präsentation seiner Geschichte“, meint sie.
Die traditionellen Männerhosen in der Lika seien aus gewebter Wolle gewesen, die zu ihrer Verfestigung verfilzt worden seien, erzählt Sonja Leka: „Das war kein weicher, sondern sehr harter Stoff, nicht wirklich ein Schutz gegen die Kälte.“ Da es noch keine Baumwollunterwäsche gab, hätten eben die Frauen das wärmende Penisfutteral für ihre Männer oder ihre Mitgift gestrickt.
Handkaffeemühle als Vorlage
Zwar sei auch Wolle keineswegs weich: „Aber dafür stimuliert das Kratzen der Wolle die Blutzirkulation.“ Junge Frauen, denen die genauen Maße ihrer künftigen Bräutigame noch nicht bekannt gewesen seien, hätten die in der Lika verbreiteten Handkaffeemühlen als Muster genommen, erzählt Leka – und wuchtet lächelnd eine phallusähnliche Mühle auf den Tisch.
Bis in die 50er-Jahre sei der Nakurnjak in der Lika noch getragen worden, mit der zunehmenden Verbreitung von Baumwollunterwäsche danach aber bald in Vergessenheit geraten, so Leka: Es waren auch die Folgen des Kroatienkriegs (1991–1995), die den traditionsreichen Peniswärmern nach der Jahrtausendwende ein spätes Souvenircomeback bescherten.
Wie viele ethnische Serben in der kroatischen Lika war Sonja Leka zu Ende des Kriegs aus Ličko Petrovo Selo zu Verwandten nach Serbien geflüchtet. 2002 kehrte sie zwar aus dem Belgrader Exil in das Dorf zurück. Doch arbeitslos fiel der Heimkehrerin wie anderen Schicksalsgenossen der Neuanfang in der strukturschwachen Lika schwer: Es war eine Mitarbeiterin der OSZE, die ihr die Gründung einer Frauenkooperative zur Herstellung und Vermarktung selbstgefertigter Ethnokleidung vorschlug.
Die Registrierung einer Genossenschaft erwies sich als zu kostspielig. Stattdessen gründete Leka mit ihren Mitstreiterinnen 2004 die „Bürgervereinigung Tara“. Von der Kommune bekam die Fraueninitiative einen Raum zur Verfügung gestellt, mit Hilfsgeldern ausländischer Botschaften schaffte sie die ersten Webstühle an. Eine Unterstützerin in Zagreb habe damals die Initiative auf die Idee gebracht, dem vergessenen Nakurnjak ein neues Souvenirleben einzuhauchen: „Aber wir wussten nicht, wie man sie macht: Niemand konnte sich wirklich an die Dinger erinnern.“
Tante Mara wusste Bescheid
Mithilfe einer TV-Dokumentation frischte schließlich eine der betagteren Strickerinnen ihr Gedächtnis auf: Tante Mara fertigte 2007 ein erstes Modell – „und brachte uns bei, wie man den Nakurnjak strickt“. Ausgestopft mit Schafwolle wird er im Geschenkkarton mit zwei Walnüssen an passender Stelle dekoriert: Die Walnüsse seien ein „Symbol der Gesundheit – und der Härte“, so Leka.
Penisschutz weit verbreitet
Ob in Papua-Neuguinea, Afrika, Skandinavien oder in anderen Balkanstaaten, ob aus Wolle, Bambusrohr oder Fruchthülsen: Einen Penisschutz habe früher „jede Kultur gekannt“, selbst Henry VIII. habe einen aus Leder getragen, sagt Leka: „In den meisten Kulturen herrschte das Patriarchat. Und was macht ein anständiges Patriarchat? Es sichert seine Reproduktion.“
Zwar schrumpelt in der Kälte eigentlich vieles ein. Doch meist setzen Männer beim Souvenirkauf auf ein zu großes Maß. Bei Messen könne sie gleich erkennen, aus welcher Region Kroatiens interessierte Standbesucher stammten, erzählt Leka schmunzelnd: „Kommen sie beispielsweise aus Dalmatien oder Zagreb, sagen sie häufig: „Hm, das ist aber groß.“ Kommen Sie aus der Lika oder Bosnien, behaupten sie oft: „Das ist für mich zu klein.“
Das Comeback des kratzigen Gemächtfutterals hat seinen Schöpferinnen in den letzten Jahren indes nicht nur viel Pressewirbel beschert und selbst den Weg in Kroatiens Präsidentenpalast geebnet, sondern auch nützliche Kontakte verschafft. Die Vermarktung der selbst gewobenen Produkte sei auch dank der Eröffnung eines neuen Dorfhotels heute kaum mehr das Problem, „aber unsere alten Frauen und besten Strickerinnen sterben langsam weg“, seufzt Sonja.
„Willy warmer“
Zählte Ličko Petrovo Selo vor den Jugoslawienkriegen noch 2000 Einwohner, ist die überalterte Bevölkerung mittlerweile auf noch knapp 100 Menschen geschrumpft. Und von einst zehn Mitstreiterinnen sind der „Tara“-Vereinigung nur noch vier verblieben: „Unser Sortiment ist darum kleiner als früher.“
Doch jeder amerikanische Tourist, der das Dorf besucht habe, werde sich wegen der „Willy warmer“ sein ganzes Leben lang daran erinnern, ist Sonja überzeugt: „Unser Dorf ist so gut wie verschwunden. Aber Ličko Petrovo Selo wird in den Erzählungen immer als der Ort fortleben, in dem der Nakurnjak gestrickt wird.“