Nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt baut sich derzeit ein starker Rechtsdruck auf, der mancherorts schon längst angekommen ist. Die Sorge um die liberale Demokratie ist groß. Es regt sich Protest, nicht zuletzt in Österreich. Sind diese Ängste übertrieben oder ist die Demokratie tatsächlich in Gefahr? Diesen Fragen stellte sich der deutsche Politikwissenschaftler Herfried Münkler am Dienstagabend im ZIB 2-Interview mit Armin Wolf.

Herausforderungen und die Anziehungskraft autoritärer Führungsstile

Die Demokratie stehe am Abgrund, so der 72-Jährige. Damit meint er nicht, dass die Lage partout völlig hoffnungslos sei, sondern dass die Demokratie nur so bedroht sei wie schon lange nicht mehr. „Letztlich hängt es vom Geschick der Demokratie ab, wie sie mit den aktuellen Herausforderungen umgeht“, sagt Münkler und nimmt damit den liberalen Rechtsstaat in die Pflicht. Derzeit sei die demokratische Staatsform gegenüber den vordringenden autokratischen Regimen deutlich in der Defensive und müsse durch eigene Kompetenz beweisen, dass sie stabil bleiben könne.

Warum Staatsmänner wie Donald Trump in den USA oder Viktor Orbán in Ungarn für viele Wähler so attraktiv sind, erklärt Münkler damit, dass sie das Prinzip der schnellen Entscheidungsfindung vertreten und nicht, wie in der Demokratie üblich, zunächst auf Entschleunigung, Fehlervermeidung oder Rationalität achten. Politische Entscheidungsprozesse dauerten den Menschen einfach zu lange, und es brauche starke Männer oder Frauen, die sie drastisch beschleunigen.

„Eliten übernehmen die Macht“

Die Welt werde sozial immer gespaltener, so der Politikwissenschaftler: „Der Verteilungszyklus geht zu Ende und es entsteht eine Einkommensspreizung, die zu verstärkten Verteilungskonflikten führt“, womit er auf eine zusätzliche Belastung in der Zufriedenheit mit dem demokratischen System anspricht.

Ab wann werden rechtspopulistische Bewegungen, die sich meist auf die Fahne schreiben, immer zuerst das Volk zu fragen, wirklich problematisch? In einem aristokratischen Regime Entscheidungen per Akklamation oder Volksabstimmung zu treffen, anstatt sie gemeinsam zu beschließen, beraube alle Freiheitsrechte und schränke die Willensäußerung ein. „Die Eliten übernehmen die Macht, und nicht das Volk spricht für sich selbst, sondern die Herrschenden sprechen für das Volk“, urteilt Münkler über die möglichen Probleme einer fehlenden Rechtsstaatlichkeit.

Ein politisches System wie das der Schweiz, die seit einigen Jahren von Referenden regiert wird und für viele als lupenreiner Rechtsstaat gilt, ist für Münkler in Österreich oder Deutschland nicht umsetzbar. „Die Schweizer sind solche Verfahren gewohnt, in Österreich und Deutschland herrschten Referenden zuletzt in der Nazizeit“, sagt er und verweist auf die Volksabstimmung von 1938, als Österreich Teil des Deutschen Reiches wurde. Dieses Verfahren sei zwar durchaus demokratisch, aber nicht rechtsstaatlich.

Verbot der AfD nahezu unmöglich

Obwohl in Deutschland viele ein Verbot der AfD fordern, sei dies ein nahezu unmögliches Unterfangen. Die Partei sei zu groß geworden und habe zu viele Wähler auf ihre Seite gezogen. Zudem könne man sich durch ein Verbotsverfahren leicht in die Opferrolle manövrieren und das Narrativ aufziehen, vom Establishment verfolgt zu werden.

Abschließend warnt Münkler davor, sich von der kategorischen Ablehnung anderer Parteien, mit einer rechtsextremen Gruppierung zu koalieren, in Sicherheit wiegen zu lassen: „Deutschland ist immun gegen rechtsextreme Parteien, andere Länder gehen leichtfertiger damit um.“ Er erinnert auch an die Koalition mit den Nazis 1933 und implizierte damit, dass sich Geschichte durchaus wiederholen könne.