Bevor das politische Abenteuer beginnt, nimmt Sahra Wagenknecht aus dem Glas nochmal einen Schluck Wasser. Der erste Applaus im Saal ist da schon verklungen. Dabei hat Wagenknecht auf dem ersten Parteitag ihrer neuen Bewegung Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nur die Bühne betreten, aber noch kein einziges Wort gesprochen. Sie trägt ihr rotes Kostüm hochgeschlossen, die Parteitagsregie hat sich für Pastellfarben entschieden. Fast wie ein Kirchentag. Aber hier wird eine politische Messe gelesen. Das Hochamt Sahra Wagenknecht, einstige Linken-Politikerin vom ganz linken Flügel. Die aber stellt gleich zu Beginn ihrer Rede klar: „Wir sind keine Linke 2.0.“
Stellt sich die Frage: Was dann? Wagenknecht hat ein paar ehemalige Getreue um sich geschart: den Finanzexperten Fabio De Masi etwa, Linkskatholik und Enkel kommunistischer Widerstandskämpfer aus Italien oder Amira Mohamed-Ali, Juristin, ehemalige Fraktionschefin der Linken im Bundestag und jetzt Ko-Vorsitzende des BSW. Mohamed-Ali ist Tochter eines Ägypters und einer gläubigen deutschen Muslimin. Ansonsten aber dominiert im weiten Parteitagsrund viel deutscher Silberrücken. Ganz vorne in Reihe eins etwa sitzt Oskar Lafontaine, mittlerweile 80, ehemaliger Klosterschüler, ehemaliger Parteichef der SPD, ehemaliger Linken-Gründer und jetzt Ehemann von Sahra Wagenknecht. Eine illustre Runde.
Eine Rede mit vagen Andeutungen
Wagenknecht selbst hatte in Interviews das Links aus dem Parteizuschreibung gestrichen und nur noch von konservativ gesprochen. Das Wort „Frieden“, sprich Verhandlungen mit Russlands Staatschef Wladimir Putin über die Zukunft der Ukraine, fällt in ihrer Rede häufig. Das Wort „Armut“ ebenfalls. Das Stichwort Bauern und Landwirtschaft sowieso. Von „Migration“ ist weniger die Rede, dafür umso mehr von „Vernunft“. Weniger als Vorgehen der Wissenschaft als im Sinne von gesundem Menschenverstand. „Corona“ ist da natürlich nicht weit.
Es ist ein Spiel mit Andeutungen. Deshalb – ausnahmsweise – ein längeres Zitat der Rede im Original: Wagenknecht spricht von „verrückten Diskussionen, die wir im Land führen“ und fährt dann fort: „Das Werben um Frieden: rechts. Die Verteidigung der Bauernhöfe: rechts. Die Kritik an Schulschließungen und Konformitätsdruck in der Corona-Zeit: rechts. Die Forderung nach Begrenzung der Zuwanderung und die Sorge vor islamistischen Parallelgesellschaften: rechts. Nachdem man den Leuten jahrelang eingehämmert hat, dass alles Vernünftige rechts sei, wundert man sich, dass am Ende eine tatsächlich rechte Partei, eine Partei, die Rechtsextremisten und Nazis in ihren Reihen hat, aus so einer Debatte als Sieger hervorgeht.“ Wagenknecht gelingt ein Kunstgriff. Sie grenzt sich von der AfD ab und besetzt mit ihren spielerischen Andeutungen doch deren Themen. Das BSW als Alternative für die gefühlt Ausgrenzten. So funktioniert die neue Bewegung.
Das BSW verläuft quer zum etablierten Parteiensystem. Der Soziologe Steffen Mau von der Berliner Humboldt-Universität hat in seinem neuen Buch „Triggerpunkte“, die neuen gesellschaftlichen Konflikte ermittelt: Migration etwa als Innen gegen Außen oder Heute und Morgen als Zukunftskonflikt um das Klima und die Aufgaben der Transformation. Mau hat auch die neue Form gesellschaftlicher Debatten beschrieben. Es genügt ein kleiner Kipppunkt, um Diskussionen emotional eskalieren zu lassen, etwa beim Gendersternchen. So muss auch Wagenknecht gewisse Punkte wie „Frieden“ oder „islamistische Parallelwelten“ nur antippen, damit alle wissen, was gemeint ist. Ganz so funktionierte die AfD.
Comeback von Lafontaine
Zumindest in ihren Anfängen. Wagenknecht setzt sich überraschend heftig mit der Rechtsaußenpartei auseinander. Zerlegt ihr Bekenntnis zur bäuerlichen Landwirtschaft (im Programm steht die Abschaffung der Subventionen) und ihren angeblich sozialen Charakter (der Erhöhung des Mindestlohns im Bundestag stimmte die AfD nicht zu). So wird das BSW zur neuen Heimat für alle Ausgeschlossenen. Zumindest für Wagenknecht. ((Doch Risiken bleiben. Oskar Lafontaine etwa feiert auf dem Parteitag ein Combeback auf der politischen Bühne. Liefert sich aber auch eine Entgleisung. Lafontaine verwahrt sich gegen eine „Affinität zur AfD“, die stünde ehern an der Seite Israels. Trotz der „Kriegsverbrechen in Gaza“.))
In Umfragen kommt die neue Bewegung auf knapp fünf Prozent im Bund, auf zu 17 Prozent in Wagenknechts Heimat Thüringen, wo im Herbst gewählt wird. Doch stellt sich ein gravierendes Problem. Das Personal. Jede neue Partei zieht Glücksritter an. Wagenknechts Bündnis kann so viel qualifiziertes Personal kaum stellen. Zwar gibt es gewichtigen Zulauf, im Westen der ehemalige Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel von der SPD, im Osten Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf von der Linken. Doch mangelt es dem BSW an erfahrenen Polit-Profis. Daran ist schon Wagenknechts erster Versuch der Bewegung „Aufstehen“ gescheitert. Auch andere populistische Formationen wie Geert Wilders in Holland kennen das.
So ist das BSW vor allem eines: eine One-Woman-Show für Sahra Wagenknecht. Mehr nicht. Vorläufig.