Unmut gegen die Regierung fördern, die Unterstützung für die Ukraine unterminieren, die Gesellschaft in Lager spalten und Gräben aufreißen – das sind die Ziele einer russischen Desinformationskampagne, die nun vom deutschen Außenministerium aufgedeckt wurde. Im letzten Herbst waren auf dem sozialen Netzwerk X/Twitter täuschend echt kopierte Profile der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock aufgetaucht, in denen sie etwa von einem „Kriegsende in der Ukraine in drei Monaten“ sprach. Auch andere Meldungen machten die Runde: „Ich finde es enttäuschend, dass die Regierung mehr für andere Länder tut als für die eigenen Bürger“ hieß es da etwa, oder auch: „Es ist eine Schande, dass die Ampelkoalition die Probleme im eigenen Land nicht zuerst angeht.“ All das wurde fleißig geteilt und weiterverbreitet – doch all das kam nicht von echten Nutzern, sondern ist ein Teil einer gesteuerten russischen Desinformationskampagne.
Wie „Der Spiegel“ berichtet, konnten die deutschen Datenforensiker mehr als 50.000 gefälschte Nutzerkonten ausmachen, die insgesamt mehr als eine Million deutschsprachige Tweets absetzten. Die Fake-Accounts verlinkten häufig auf gefälschte Internetseiten, die denen bekannter Medien ähnelten und Falschnachrichten verbreiteten, etwa dass die Ukraine bald vor der Niederlage stehe. Nur an Wochenenden und an russischen Feiertagen verstummte demnach das verbale Trommelfeuer. Viele reguläre Nutzer fielen auf die Falschnachrichten herein und teilten sie. Zudem waren die manipulierten Texte auch oft mit populären Hashtags versehen, etwa #Oktoberfest oder #Dirndl, weil das zur selben Zeit gerade im Trend lag. Gestern warf auch die französische Regierung Russland eine gezielte Verbreitung von Falschinformationen über Frankreich im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg im Rahmen des „koordinierten Vorgehens“ unter Beteiligung staatlicher Medien wie Sputnik News, RT und RIA Nowosti vor.
Falschmeldungen: Die Spur führt fast immer nach Russland
Das alles kommt nicht unerwartet und ist innerhalb der EU schon länger ein großes Thema. Anfang der Woche legte der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) unter der Leitung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell einen 38-seitigen Bericht vor, in dem auf die weltweit mehr als 80 Wahlen in diesem Jahr verwiesen wird. Dazu gehören die Wahlen zum Europaparlament Anfang Juni (in Österreich am 9. Juni). Fake-News-Schmieden sprächen gezielt Wählerinnen und Wähler, politische Parteien und Kandidaten an und wollten das Vertrauen in die Demokratie zunichtemachen, warnt Borrell. Insgesamt untersuchten die EU-Experten 750 Fälle von Desinformation innerhalb eines Jahres, die zu einem großen Teil auf das Konto Russlands gehen. Fast 150 Organisationen waren demnach von Desinformation betroffen - „am häufigsten die EU und ihre Mitgliedstaaten sowie die Nato, aber auch Medienorganisationen wie Euronews, Reuters, die Deutsche Welle und die New York Times“, heißt es in dem Bericht. Angriffe persönlicher Art hätten sich insbesondere gegen den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gerichtet. Erst im Dezember hatte die EU-Kommission ein Verfahren gegen X eröffnet, um die Verbreitung illegaler Inhalte zu prüfen.
Auch der Präsident des Europäischen Sozial- und Wirtschaftsausschusses, Oliver Röpke, sagte diese Woche vor Journalisten in Brüssel, es sei bei den bevorstehenden Wahlen (er verwies neben den Europawahlen auf jene in den USA, Georgien, Moldau oder Nordmazedonien) unabdingbar, sie gegen Missinformation zu schützen. Die Zivilgesellschaft solle ihre Entscheidungen auf Basis von Fakten und nicht von Falschinformationen treffen. Dietmar Pichler vom Zentrum für digitale Medienkompetenz sagte kurz nach Kriegsbeginn in einem Interview mit der „Wiener Zeitung“, es gehe Russland neben dem Primärziel, durch die Manipulation der Bevölkerungsmeinung Druck auf die Politik zu machen, um das Sekundärziel, bei dem es um die grundsätzliche Destabilisierung Europas gehe.