US-Wahlkämpfe sind klischeebehaftete Märchenwettbewerbe. Jeder Kandidat, jede Kandidatin breitet seine beziehungsweise ihre Geschichte mundgerecht und leicht verständlich vor der Wählerschaft aus. Alles ist eindeutig, Widersprüche sind unerwünscht. Entweder oder.
Indische Wurzeln
Alleine deshalb nimmt Nikki Haley eine Sonderposition ein. Sie ist irgendwie widersprüchlich. Kalkuliert und impulsiv, hart und empathisch zugleich. Vor allem aber ist sie eine ernsthafte Alternative für Amerika. Wenn es jemanden gibt, der Donald Trump noch gefährlich werden könnte, dann ist es die 51-jährige Republikanerin. Bereits im November entschied sich auch das mächtige Spender-Netzwerk von Milliardär Charles Koch, Haley als Kandidatin zu finanzieren. Ein Fingerzeig der republikanischen Elite. Bei den Vorwahlen in New Hampshire, wo sie zuletzt in den Umfragen deutlich an Boden auf Trump gut gemacht hat, muss Haley heute Dienstag zeigen, was sie kann. Gewinnt Trump auch den zweiten Bundesstaat haushoch (Umfragen sehen ihn weiter klar in Führung), wird Haley ihn vermutlich nicht mehr schlagen können.
Nimarata Nikki Randhawa. Mit diesem Namen wird Haley 1972 in South Carolina geboren. Ihre Eltern stammen aus Indien und wanderten Ende der 1960er Jahre nach Amerika aus. Haley wächst traditionell auf. Der Vater trägt Turban, die Mutter Sari. Bis heute pflegt sie zu ihren Wurzeln eine On-off-Beziehung. In ihrer Autobiografie schreibt sie: „Ich wurde als braunes Mädchen in eine schwarz-weiße Welt geboren.“ Die dunklere Haut lässt sich heute unter der Schminke aber bloß erahnen. Haley konvertiert später zum Christentum, sieht sich als „weiß“. Trotzdem wird sie in Reden nicht müde, von ihrem „amerikanischen“ Traum als Einwanderer-Kind zu erzählen. Und auch sonst ist Haleys Weg nicht klassisch. Sie besucht keine Elite-Uni, sondern studiert Buchhaltung in der Provinz. Lange hilft sie auch ihrer Mutter, die ein Kleidungsgeschäft betreibt.
Die Stärkste gegen Biden
2011 wird sie als erste indisch-stämmige Frau Gouverneurin von South Carolina. Unter Trump steigt sie zur US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen auf. Sie ist präsent, man kennt sie. 2018 zieht sie als eine der wenigen im Umfeld Trumps rechtzeitig die Reißleine und gibt den Posten ab. Ohne klare Begründung. Bis heute wird gemunkelt, sie hätte Trump nicht mehr ertragen.
Haley ist jung, aber gleichzeitig immens erfahren. Sie ist stramm-konservativ, aber schafft es dennoch, sich nicht im Kulturkampf zu verlieren. Und dann ist sie noch eine Frau. Und dass die erste Präsidentin der USA aus der republikanischen Partei kommen könnte – das gefällt dann sogar dem reaktionärsten Republikaner. Haley hat, wie jüngste Umfragen zeigen, die größte Chance, den amtierenden Präsidenten Joe Biden zu schlagen. Rund 53 Prozent der Stimmen würde sie bekommen, Trump hingegen nur 50. Obwohl sie bei den Vorwahlen in Iowa überraschend hinter Ron De Santis auf Platz Drei landete – das Rennen ist für sie noch nicht gelaufen. Letzte Umfragen sehen Haley in New Hampshire bei 34 Prozent, Trump bei 50.
„Es wird schwierig, aber es nicht unmöglich“, betont die Politikwissenschaftlerin Claudia Brühwiler von der Universität St. Gallen im Gespräch. „Die Frage ist, mit welchem Abstand sie in New Hampshire den zweiten Platz holen wird und ob sich dann Unabhängige und Demokraten hinter sie stellen werden“. Anders als in Iowa lässt das Wahlsystem im Ostküstenstaat es zu, dass unabhängige Wählerinnen und Wähler bei den Vorwahlen für Kandidatinnen und Kandidaten beider Parteien stimmen können. Die Kampagne von Haley ziele jedenfalls genau darauf ab, so Brühwiler.
Kein Trump-Klon
„Sie ist ein Kind der Tea-Party-Bewegung, aber heute wesentlich moderater. Das spricht einerseits für ihre politische Entwicklung, andererseits für ihren politischen Pragmatismus, der die Republikaner auch früher ausgemacht hat“, erklärt Brühwiler. Die einen beschreiben Haley als karrieregeil, die anderen als eine, die sich auf ihr Bauchgefühl verlässt und nicht auf parteiinterne Gepflogenheiten. Beides stimmt wohl. Als der Rassist Dylann Roof 2015 neun schwarze Menschen in South Carolina brutal abschlachtet, spricht sich Haley gegen das Hissen der Konföderierten-Flagge aus. Sie gilt als Symbol der früheren Sklaverei befürwortenden Südstaaten. Ein mutiger Schritt in South Carolina.
Haley ist – das unterscheidet sie von ihren Mitbewerbern – kein Trump-Klon. Vorsichtig, aber doch spürbar grenzt sie sich vom Ex-US-Präsidenten ab, ohne dabei den Anschein zu erwecken, weniger republikanische Politik machen zu wollen. Bei Haley hat man das Gefühl, alles ist ein bisschen weniger schlimm. Sie beschwört in ihrem Wahlkampf den amerikanischen Urstolz herauf. Ein bisschen wie Joe Biden, dessen zentrales Wiedererkennungsmerkmal neben dem simplen Umstand, nicht Donald Trump zu sein, ist, das amerikanische Volk wieder zu vereinen. „Die USA waren nie rassistisch“, betont Haley in solchen Momenten. Sie wird es selbst besser wissen, aber sie spart die dunklen Kapitel gerne aus, umschifft schwierige Fragen. Oder sie schwindelt sich durch. Vor allem aber steht sie für Kompromisse. Anti-Woke? Ja, aber mit Respekt. Schwangerschaftsabbrüche? Schwieriges Thema, aber Männer hätten jedenfalls keine Ahnung davon. An anderen Stellen ist sie wieder erfrischend klar. Als einzige Republikanerin setzt sie sich klar für eine Unterstützung der Ukraine ein.
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Sie käme zur rechten Zeit für die republikanische Zukunft. Nach der Wahlniederlage von Mitt Romney im Jahr 2012 gab die Partei einen Bericht namens „Autopsie“ in Auftrag. Die Republikaner wollten wissen, weshalb sie verloren hatten. Das Ergebnis: Die Partei verlor die Bevölkerungsmehrheit, erreichte zu wenige Minderheiten. „Haley ist genau das, was eine moderne republikanische Partei braucht und die Parteielite auch will“, erklärt Brühwiler. Spätestens nach Trumps möglicher zweiter Amtszeit, bei der Wahl 2028, könnte es dann so weit sein.