Vor einer erneuten Kraftprobe mit seiner Parteirechten sieht sich heute Großbritanniens Tory-Premierminister Rishi Sunak in Westminster. Nach zweitägiger Debatte über sein heiß umstrittenes „Ruanda-Gesetz“ wird am Abend im Unterhaus abschließend über die Vorlage abgestimmt. Dabei verlangen mehr als 60 konservative Abgeordnete von ihrer Regierung eine wesentlich härtere Version des Gesetzes – und niemand weiß, wie viele von ihnen Sunak letztlich die Gefolgschaft versagen werden, wenn er das Gesetz nicht noch in letzter Minute in ihrem Sinne verschärft.

32 Nein-Stimmen wären schon zu viel

Da alle Oppositionsparteien bis auf eine gegen das Gesetz votieren werden, bräuchte es nur 32 Nein-Stimmen aus dem Tory-Lager, oder eine entsprechend höhere Zahl an Enthaltungen, um es zu Fall zu bringen. Ein solches jähes Ende des „Gesetzes zur Sicherheit Ruandas“ wäre ein schwerer Schlag für den Regierungschef, der Massendeportationen von Asylsuchenden in den afrikanischen Staat zu einem Kernpunkt seines politischen Programms gemacht hat. Mit seinem Gesetz hatte Sunak ursprünglich gehofft, den rechten Flügel seiner Partei zufriedenzustellen und generell auf neue Antipathien gegen Immigranten in der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen. Die Idee, Asylsuchende „zwecks Abschreckung“ zu Tausenden nach Ruanda zu verfrachten, war bereits im April 2022 vom damaligen Premier Boris Johnson zur Regierungspolitik erhoben worden.

Sunak übernahm den Plan, als er im Oktober desselben Jahres in No 10 Downing Street einrückte. Vor zwei Monaten entschied aber das Oberste Gericht, dass der Plan nicht umgesetzt werden könne, weil Ruanda Flüchtlingen „nicht die nötige Sicherheit“ bot. Daraufhin hatte Sunak im Eilverfahren ein neues Gesetz erarbeiten lassen, das Ruanda ganz einfach für „sicher“ erklären soll. Die im Dezember im Parlament eingebrachte Gesetzesvorlage sieht zugleich eine Reduktion aller Einspruchsrechte und Berufungsmöglichkeiten der zur Abschiebung bestimmten Asylsuchenden auf ein Minimum vor.

Moderate Konservative haben von Anfang an heftige Kritik an dem Gesetz geübt. Sie fürchten, dass es die Autorität der Justiz im eigenen Land untergraben und internationale Menschenrechts-Verpflichtungen Londons gefährden würde. Rechtsexperten haben das Gesetz „verfassungsmäßig fragwürdig“ genannt. Rechtsgerichtete Tories, insbesondere Brexit-Hardliner und Nationalkonservative, verlangen dagegen eine zusätzliche Verschärfung des Gesetzes. Sie wollen, dass Asylsuchenden überhaupt keine Möglichkeit zum Einspruch gegen ihre Deportation mehr gegeben wird.

Druck auf Sunak nimmt weiter zu

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte soll ihrer Ansicht nach britische Maßnahmen nicht länger aufschieben oder verhindern können. Weder an die Europäische Menschenrechtskonvention noch an irgendwelche eigenen Menschenrechtsgesetze soll London künftig gebunden sein. Notfalls, meint die Tory-Rechte, müsse man halt austreten aus der Konvention und eventuell sogar aus der Flüchtlings-Charta der UNO.

Hinter diesen Maximalforderungen haben sich prominente Tories wie Sunaks frühere Innenministerin Suella Braverman, Kurzzeit-Regierungschefin Liz Truss und Ex-Wirtschaftsminister Sir Jacob Rees-Mogg sowie die DUP, die Partei der nordirischen Unionisten, gestellt. Braverman hat erklärt, das Gesetz in seiner jetzigen Form sei „untauglich“. Sunak müsse „nochmal von vorne anfangen“ und ein neues, strikteres Ruanda-Gesetz konzipieren.

Dem „Aufstand“ hat sich am Dienstag auch Boris Johnson angeschlossen. Die beiden Vize-Vorsitzenden der Partei, Lee Anderson und Brendan Clarke-Smith, sind am Dienstagabend ob des Gesetzes zurückgetreten. Premier Sunak hat der Forderung der „Rebellen“ allerdings nicht nachgegeben. Er baut darauf, dass seine Kritiker es am Ende nicht wagen werden, den Ruanda-Plan zu sabotieren. Viel Spielraum hat er freilich auch nicht.

Denn Vertreter der gemäßigten Konservativen haben ihrerseits versichert, dass sie gegen das Gesetz stimmen würden, falls der Premier dem rechten Flügel nachgeben sollte. Eine Gruppe moderater Tories um den ehemaligen Justizminister Sir Robert Buckland hält es eh schon für unakzeptabel, dass Ruanda vom Parlament als „sicher“ eingestuft werden soll. Immerhin hat sogar das Londoner Innenministerium eingeräumt, dass es in Ruanda gewisse „Probleme mit der Achtung der Menschenrechte“ gebe, „was politische Opposition zum gegenwärtigen Regime, abweichende Meinungen und Redefreiheit betrifft“.

Verfolgung in Ruanda

Ein Bericht der liberalen Londoner Zeitung „i“ bestätigte diese Woche, dass London in den letzten zehn Jahren Dutzenden aus Ruanda nach England geflüchteten Personen Asyl gewährte, weil sie in Ruanda verfolgt wurden und sich in Gefahr befanden. Sechs dieser Personen erhielten Asylrecht seit April 2022: Dem Zeitpunkt, an dem die Johnson-Regierung mit ihrem Deportations-Plan an die Öffentlichkeit trat.

Aber selbst wenn es Sunak gelingen sollte, sein Ruanda-Gesetz heute mit der nötigen Mehrheit durchs Unterhaus zu bringen, haben Lords und Ladys im Oberhaus, wo es anschließend behandelt wird, in großer Zahl Widerstand angekündigt. Unter diesen Umständen könnte sich die Parlamentsschlacht leicht bis Ostern hinziehen. Und danach müsste die Regierung, bevor es zu Neuwahlen käme, noch mit weiteren Konflikten rechnen vor Gericht.