Den Braunbären im Trentino geht es an den Kragen. Man kann es nicht anders sagen, denn die norditalienische Provinzregierung plant ein Gesetz, das den massiven Abschuss der Tiere ermöglichen soll. Bis zum Jahr 2027 sollen 24 Bären sterben. „Wir setzen uns dafür ein, dass das neue Gesetz, das die Tötung von bis zu acht Tieren pro Jahr erlaubt, so schnell wie möglich eingebracht wird“, sagte der Chef der Provinzregierung, Maurizio Fugatti, bereits vor Weihnachten. Der Politiker der rechtsnationalen Lega wurde im Oktober für fünf Jahre wiedergewählt, seine Koalition hat eine bequeme Stimmenmehrheit im Parlament.

Wie nun aus der Provinzhauptstadt Trento zu erfahren ist, hat es Fugatti beim Abschuss der Bären besonders eilig. Denn die rund 150 Tiere im Adamello-Brenta-Gebiet nördlich des Gardasees sind derzeit im Winterschlaf, erwachen aber bald und könnten dann wieder für böse Überraschungen sorgen. Wie am 5. April des vergangenen Jahres. Damals wurde der 26-jährige Jogger Andrea P. bei Caldes von der Bärenmutter JJ4 mit ihren Jungtieren überrascht und von ihr getötet. JJ4 ist die Schwester des 2006 in Bayern abgeschossenen Braunbären „Bruno“. 

Gefährliches erwachen aus dem Winterschlaf

Das Gesetz soll dieser Tage in seinen letzten Details fertiggestellt werden, ins Parlament eingebracht und bereits im Februar verabschiedet sein. Wenn die Bären aus dem Winterschlaf erwachen, wird es gefährlich für sie. Der Provinzchef nannte das Gesetz „ein wichtiges Managementinstrument, das in erster Linie die öffentliche Sicherheit, aber auch den Schutz der Bergwirtschaft gewährleistet“. Immer wieder kam es im Trentino in den vergangenen Monaten zu teilweise gefährlichen Zusammenstößen zwischen Mensch und Tier. Landwirte klagen über Bären und Wölfe, die Zuchttiere gerissen oder andere Schäden verursacht haben. Fugatti hat für seine Linie Alliierte in der rechtskonservativen Regierung in Rom. Einer Studie des nationalen Instituts für Umweltforschung ISPRA zu Folge würden mehr als acht Abschüsse pro Jahr, zwei Weibchen und sechs Männchen, die Bärenbevölkerung im Trentino gefährden. Auf den Ergebnissen der Studie fußt nun der Gesetzentwurf.

„Anti-Bären-Tonnen“ und Sterilisation

Tierschützer laufen Sturm. „Wir werden die Regierung auffordern, das Gesetz vor dem Verfassungsgericht anzufechten“, sagt Massimo Vitturi vom Tierschutzverband LAV. Man wolle sich auch an die EU-Kommission wenden. Die Bären dürften nicht abgeschossen werden. „Die Provinzregierung wütet gegen die Tiere, die keine Verantwortung tragen. Es ist die Politik, die verantwortlich ist.“ Anstatt die Braunbären zu töten, wären andere Schritte notwendig. Vitturi schlägt eine Kommunikationskampagne vor, um die Bevölkerung über die Gewohnheiten der Tiere und ihre Aufenthaltsorte in Kenntnis zu setzen. Des Weiteren müssten dringend die herkömmlichen Mülltonnen flächendeckend mit geruchssicheren „Anti-Bären-Tonnen“ ersetzt werden. „Die Tiere werden von den Essensresten angezogen, sie werden zutraulich“, erklärt der Aktivist. Als letztes Mittel sei statt des Abschusses die Sterilisierung einiger Weibchen denkbar.

Auch der ehemalige italienische Umweltminister Sergio Costa nannte das Vorhaben der Provinzregierung „verfassungswidrig“. Nachdem das Verwaltungsgericht Trento im Sommer den von Fugatti unterzeichneten Abschuss der Bärin JJ4 gestoppt hatte, organisierte der LAV auf eigene Kosten deren Umsiedlung in einen Nationalpark in Rumänien. Weil bis heute das Ok der Provinz fehlt, sitzt die Bärin weiterhin in einem Gehege bei Trento, das Tierschützer als „Kerker“ bezeichnen. Im April hatte die Provinzverwaltung den Bären MJ5 zum Abschuss freigegeben, das Verwaltungsgericht stoppte auch diesen Beschluss. MJ5 hatte im März einen Wanderer angegriffen und ist noch frei. Im September stoppte das Gericht einen dritten Abschussbefehl, diesmal gegen die Bärin F36. Sie hatte im Juli zwei junge Männer angegriffen. F36 wurde im September tot aufgefunden.

Selbstjustiz

Wie zu den Zeiten „Brunos“ in Bayern, der heute ausgestopft im Museum „Mensch und Natur“ in München zu besichtigen ist, schlagen auch im Trentino die Gemüter hoch. Von Selbstjustiz ist die Rede. Die letzten drei tot aufgefundenen Braunbären seien vergiftet worden, heißt es. Das bestätigte indirekt der bisherige Vizepräsident der Provinz, Mario Tonina. „Die letzten drei tot aufgefundenen Bären sind keines natürlichen Todes gestorben. Die Menschen können nicht mehr und suchen selbst Antworten.“ Von Jahresanfang bis Herbst 2023 wurden im Trentino insgesamt sieben Kadaver von Bären gefunden, die Obduktionsergebnisse der letzten drei Exemplare liegen aber noch nicht vor.

Dass es überhaupt so weit kam, hat mit einer gut gemeinten Initiative zu tun, dem EU-Projekt Life Ursus. Zum Artenschutz und der Wiederansiedlung der Braunbären im Naturpark Adamello-Brenta wurden zwischen 1999 und 2002 zehn Braunbären aus Slowenien freigelassen. Bis dahin waren nur noch drei ansässige Bären gezählt worden. Kalkuliert wurde eine Vermehrung der Tiere innerhalb von 20 bis 40 Jahren auf 40 bis 60 Exemplare. Die Bären vermehrten sich allerdings rascher als gedacht, heute sind rund 150 Tiere im Trentino unterwegs.