Dramatische Szenen in Polen: Polizeibeamte bahnen sich den Weg in den Präsidentenpalast und nehmen dort den überraschten ehemaligen PiS-Innenminister Mariusz Kaminski und seinen Vize Maciej Wasik fest. Noch in der Nacht versammelt sich vor dem Gefängnis im Warschauer Stadtteil Grochow eine Gruppe von PiS-Anhängern, darunter auch Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Er bezeichnet Wasik und Kaminski als „politische Gefangene“ und forderte Einlass in die Haftanstalt. In Polen hat sich der Machtkampf zwischen dem neuen links-liberalen und dem alten konservativen Regierungslager über Nacht dramatisch zugespitzt.
„Politische Rache“
Ging es kürzlich noch um die Macht über das Staatsfernsehen TVP, rückt nun die Zukunft des rechtskräftig verurteilten PiS-Vizes Kaminski und seines Mitarbeiters in den Vordergrund. Gestern trat Kaminski sogar in den Hungerstreik. „Meine Verhaftung ist eine politische Rache“, ließ der enge Kaczynski-Vertraute wissen. Und Staatspräsident Andrzej Duda, der ebenfalls aus dem im Oktober bei den Parlamentswahlen abgewählten PiS-Lager stammt, verspricht einen „Kampf um Kaminskis Freilassung bis zum Ende“.
Tusk droht nächster PiS-Schachzug
Polen steht am Rande einer Staatskrise. Nach einem Haftbefehl hatten sich Kaminski und dessen Ex-Stellvertreter Wasik am Dienstag in den Präsidentenpalast geflüchtet. Der neue Regierungschef Donald Tusk warf Staatspräsident Andrzej Duda daraufhin Behinderung der Justiz vor. Kaminski und Wasik waren im Dezember in einem Berufungsverfahren von einem Warschauer Bezirksgericht wegen Amtsmissbrauchs zu zwei Jahren Haft verurteilt worden und sollten ihre Strafe antreten. Duda hatte die beiden nach einem ersten Verfahren 2015 noch begnadigt.
Der Fall bezieht sich auf eine über 16 Jahre zurückliegende Provokation: Kaminski und Wasik hörten damals Beamte und Abgeordnete ab. Beide hätten sich Anfang dieses Jahres freiwillig in Haft begeben sollen. Stattdessen nahmen sie weiter an den Parlamentssitzungen teil. Kaminski zeigte dort Tusk gar eine polnische Art der Stinkefinger-Geste.
Kaminski sei von Duda bereits 2015 rechtskräftig begnadigt worden und könne damit sein Amt als Abgeordneter weiterhin wahrnehmen, argumentiert PiS. Anders sieht das Parlamentspräsident Szymon Holownia. Er verschob die erste Parlamentssitzung im neuen Jahr. Die Sorge um die öffentliche Ruhe sei oberstes Ziel, sagte der liberale Politiker. Premier Tusk droht ein neuer Schachzug der PiS: Laut dem Willen von Jaroslaw Kaczynski soll Staatspräsident Duda das Budget für 2024 vors Verfassungsgericht bringen. Ohne gültiges Budgetgesetz hat Duda das Recht Neuwahlen auszurufen.