Nur Stunden nach dem Terroranschlag im iranischen Kerman stand für die Hamas fest, wer als Hauptnutznießer der Gewalttat ins Visier genommen werden müsse: Israel. Die Bomben von Kerman dienten den Interessen des jüdischen Staates, erklärte die militante Palästinensergruppe, die im Gazastreifen gegen Israel kämpft. Auch iranische Politiker stimmten ein, Revolutionsführer Ali Khamenei kündigte Vergeltung an. Die Schuldzuweisung an Israel nach den Eskalationen der jüngsten Zeit lässt die Furcht vor einem regionalen Flächenbrand wachsen.
Die Täter in Kerman brachten nach Berichten iranischer Staatsmedien während einer Gedenkfeier für den vor vier Jahren getöteten General Qassem Soleimani zwei Taschen voller Sprengstoff per Fernzünder zur Explosion – nahe dem Friedhof, auf dem Soleimani beigesetzt ist.
Israels Geheimdienst Mossad hat zwar mehrmals Mordanschläge im Iran verübt, dabei aber immer gezielt Offiziere der Revolutionsgarde oder Experten des iranischen Atomprogramms getötet. Ein Bombenanschlag wie in Kerman gehöre nicht zu Israels Methoden, sagt der Iran-Experte Arash Azizi, Autor eines Buches über Soleimani. Zudem befinden sich keine hochrangigen Revolutionsgardisten unter den Opfern, was gegen eine israelische Verwicklung spreche, sagte Azizi gegenüber der Kleinen Zeitung. Auch der türkische Iran-Experte Arif Keskin sagte, dass Israel in seinem Schattenkrieg gegen den Iran ganz anders vorgehe.
Regime geschwächt
Azizi, Keskin und die US-Regierung vermuteten eher den Islamischen Staat (IS) hinter der Tat. Der radikal-sunnitische IS hatte bereits im vorigen Jahr und 2022 Anschläge im schiitischen Iran verübt. Soleimani befehligte vor zehn Jahren den Feldzug iranischer Truppen gegen den IS im Irak und hatte großen Anteil an der Vertreibung des IS aus dem Land. Donnerstagabend bekannte sich die Gruppe tatsächlich zu dem Anschlag.
Der Anschlag von Kerman habe das iranische Regime aber geschwächt, fügte Keskin hinzu. Teheran preise das die Islamische Republik immer als „Insel der Stabilität“ im Nahen Osten an. Nun müsse sich die Regierung vorwerfen lassen, die eigene Bevölkerung nicht schützen zu können.
Der Anschlag ist der neue Höhepunkt einer Eskalationsspirale in Nahost. Zunächst gab es außerhalb von Gaza lediglich Scharmützel zwischen Israel und der Hisbollah an der israelisch-libanesischen Grenze. Doch dann begannen die iranisch unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen mit Angriffen auf Handelsschiffe im Roten Meer, um die Hamas zu unterstützen. Die Huthis drohen zudem mit Angriffen auf US-Kriegsschiffe in der Gegend; bei einem Gefecht am Neujahrstag tötete die US-Marine zehn Huthi-Kämpfer.
Zur iranisch unterstützten „Achse des Widerstands“ gegen Israel gehören neben den Huthis und der Hisbollah auch das Regime in Syrien sowie proiranische Milizen im Irak. Ein israelischer Luftangriff in der Nähe von Damaskus am ersten Weihnachtstag tötete den iranischen General Sajed Razi Mousavi, den wichtigsten iranischen Offizier in Syrien. Am Dienstag starb die Nummer zwei der Hamas, Saleh al-Arouri bei einem mutmaßlichen israelischen Luftschlag in Beirut. Tags darauf die Explosionen in Kerman. Am Donnerstag starben mindestens zwei proiranische Kämpfer in der irakischen Hauptstadt Bagdad bei einem Drohnenangriff auf das Hauptquartier ihrer Miliz.
Gefahr wächst, „obwohl keine der beiden Seiten das will“
Aus all dem lässt sich dennoch nicht der Schluss ziehen, dass der Iran und Israel einen Krieg beginnen wollen, meint Iran-Experte Azizi. „Der Iran weiß, dass eine größere regionale Auseinandersetzung reiner Selbstmord wäre“, sagte er zur Kleinen Zeitung. Khamenei wolle keine direkte Auseinandersetzung mit mächtigen Staaten wie Israel und den USA. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah ließ nach dem Tod von Arouri durchblicken, dass seine Kämpfer vorerst keinen Großangriff gegen Israel starten werden. Die israelische Armee erklärte, sie konzentriere sich auf den Krieg gegen die Hamas in Gaza.
Doch auch wenn weder Israel noch der Iran Interesse an einem neuen Krieg haben, wächst die Gefahr, dass sie wegen der Spannungen um den Gazakonflikt in einen bewaffneten Konflikt hineinstolpern. Anschläge wie der von Kerman bergen das Risiko weiterer Eskalationen, meint Azizi: „Die Dinge können aus dem Ruder laufen, obwohl keine der beiden Seiten das will.“