Russland hat die Ukraine in der Silvesternacht laut Kiewer Angaben mit einer Rekordzahl von 90 Kampfdrohnen beschossen. Das seien fast doppelt so viele unbemannte Flugkörper wie in der Silvesternacht vor einem Jahr, als insgesamt 45 abgeschossen worden seien. Landesweit hätten davon 87 abgewehrt werden können, teilte der ukrainische Luftwaffenchef Mykola Oleschtschuk am Montagfrüh auf Telegram mit.
In der Schwarzmeerregion Odessa im Süden wurden laut Militärgouverneur Oleh Kiper durch einen Angriff auf ein Wohngebiet mindestens ein Mensch getötet und drei weitere verletzt. Zudem soll es Schäden am Hafen gegeben haben. In Lwiw im Westen der Ukraine soll ein Museum zerstört worden sein. Laut der ukrainischen Luftwaffe griff die russische Armee darüber hinaus die Regionen Cherson und Saporischschja im Süden sowie Charkiw im Osten mit Raketen an.
Explosionen trotz Verbot von Silvesterraketen
Es ist bereits der zweite Jahreswechsel, den die gesamte Ukraine im Krieg erlebt, nachdem Russland das Nachbarland am 24. Februar 2022 überfallen hat. Erst vor wenigen Tagen erlebten die Ukrainer die schwersten Bombardierungen seit Kriegsbeginn, infolge derer alleine in der Hauptstadt Kiew offiziellen Angaben zufolge mindestens 27 Menschen getötet wurden.
In Donezk sprach der von Russland eingesetzte Regionalverwalter Denis Puschilin von vier Toten und 13 Verletzten. Ukrainische Medien berichteten auch von Explosionen über Kiew, Cherson und Charkiw. Für Unruhe sorgen auch Explosionen von Silvesterraketen und Böllern, obwohl diese zu Kriegszeiten eigentlich verboten sind.
Selenskyj zieht Bilanz und blickt voraus
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hob unterdessen in seiner Neujahrsansprache die Stärke seines Landes hervor. "Das wichtigste Ergebnis des Jahres, seine größte Errungenschaft: Die Ukraine ist stärker geworden. Die Ukrainer sind stärker geworden", sagte Selenskyj am Sonntag in einer 20-minütigen Videobotschaft aus seinem Büro in Kiew. "Als wir Anfang 2023 ... ohne Übertreibung den härtesten Winter der Geschichte überstanden haben. Als wir bewiesen haben, dass die Ukrainer zäher sind als Kälte und Dunkelheit. Stärker als Stromausfälle und drohende Blackouts." Die Ukrainer seien stärker "als alle Blockaden und Vetos, als alle Ungläubigkeit und Skepsis".
Als Erfolge hob die Selenskyj in seiner Rede den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen, die Etablierung eines Korridors für Getreidelieferungen auf dem Schwarzen Meer sowie die insgesamt 156 Militärunterstützungspakete für sein Land im abgelaufenen Jahr hervor. Auch würden die ukrainischen Piloten bereits die F-16-Kampfjets beherrschen "und wir werden sie ganz bestimmt in der Luft sehen, damit die Feinde unseren wahren Zorn erkennen werden. Und nächstes Jahr wird der Feind auch den Zorn der einheimischen (Rüstungs-)Produktion spüren."
In Bezug auf die Frage, ob die ukrainische Armee über eine ausreichende Truppenstärke verfüge, rief er diejenigen auf, die "noch zögern, im nächsten Jahr eine mutige Entscheidung zu treffen, um ihr eigenes Land zu verteidigen, für es zu arbeiten und ihm zu helfen".
Selenskyjs Botschaft enthielt kaum einen direkten Hinweis auf die Lage an der 1000 Kilometer langen Frontlinie oder auf die im Juni begonnene Gegenoffensive, die keinen durchschlagenden Erfolg gebracht hat. Er erwähnte auch nicht die politischen und diplomatischen Schwierigkeiten, weitere militärische und andere Hilfe sowohl vom US-Kongress als auch von der Europäischen Union zu erhalten. "So wie am vergangenen 31. Dezember sagen wir auch heute: 'Wir wissen nicht mit Gewissheit, was uns das neue Jahr bringen wird.' Aber heuer können wir hinzufügen: 'Egal, was es bringt, wir werden stärker sein.'"