Russland hat die Stadt Charkiw in der Nordostukraine nach ukrainischen Angaben am Sonntag erneut angegriffen. Mindestens sechs Raketen trafen die Stadt, wie Regionalgouverneur Oleh Syniehubow sagte. Mindestens 28 Menschen seien verletzt worden, Wohngebäude, Hotels und medizinische Einrichtungen seien getroffen worden. Wie Charkiws Bürgermeister Ihor Terechow mitteilte, gab es später einen Angriff mit Drohnen, die Wohngebäude im Zentrum der Stadt trafen und Brände auslösten.

Bereits am Samstag und in der Nacht auf Sonntag griffen die Russen mit Raketen und Drohnen des Typs „Shahed“ aus iranischer Fabrikation die Stadt Charkiw an. „Es handelt sich nicht um militärische Einrichtungen, sondern um Cafés, Wohngebäude und Büros“, betonte der Bürgermeister. Angaben zu möglichen Opfern machte er nicht. „Am Vorabend des Neujahrsfestes wollen die Russen unsere Stadt einschüchtern, aber wir haben keine Angst“, fuhr Terechow fort.

Drei Tote habe es bei einer russischen Bombardierung eines Dorfes in der Region in der Nähe der Grenze gegeben, sagte Syniehubow. Laut ukrainischer Luftwaffe wurden 21 von 49 Drohnen abgeschossen. Die meisten Flugkörper seien auf die Frontlinie und die Regionen Charkiw, Cherson, Mykolajiw und Saporischschja ausgerichtet gewesen. Ein Drohnenangriff in der Region um die Hauptstadt Kiew sei abgewehrt worden.

Heftigste Angriffswelle seit Kriegsbeginn, Ukraine schlägt zurück

Warnungen wurden unter anderem für die Regionen Cherson, Mykolajiw und Dnipropetrowsk herausgegeben. Erst vor wenigen Tagen hatte Russland die Ukraine mit der schwersten Angriffswelle seit Kriegsbeginn vor fast zwei Jahren überzogen. In der Nacht auf Freitag beschossen die Russen das Nachbarland mit insgesamt knapp 160 Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen verschiedener Typen. Mindestens 39 Menschen wurden laut ukrainischen Angaben getötet.

Am Samstag hatte die Ukraine nach russischen Angaben die russische Stadt Belgorod angegriffen. Zunächst wurde von 22 getöteten Menschen berichtet. Die Zahl der Todesopfer ist laut russischen Angaben nun auf 24 gestiegen. Der Gouverneur des Gebietes, Wjatscheslaw Gladkow, berichtete am Sonntag von zwei weiteren Toten. Mehr als 100 Menschen seien durch Beschuss am Freitag und Samstag verletzt worden, schrieb er im sozialen Netzwerk Telegram. Am Sonntag gab es in der Großstadt mit etwa 350.000 Einwohnern Luftalarm, wie Gladkow mitteilte. Die Bewohner sollten sich in Schutzräume begeben.

In dem Krieg, den Russland seit Februar 2022 gegen die Ukraine führt, sind die Toten in Belgorod der bisher schwerste Verlust unter der russischen Zivilbevölkerung. Nach russischen Militärangaben soll die Ukraine die Stadt mit Kampfdrohnen und Raketenartillerie beschossen haben.

Nach Aussagen des russischen Verteidigungsministeriums war der Angriff auf Charkiw in der Nacht die Vergeltung für die Bombardierung Belgorods. Russland habe in Charkiw „Entscheidungszentren“ und militärische Einrichtungen getroffen.

Ukraine soll auf militärische Objekte gezielt haben

In Moskau teilte das Verteidigungsministerium außerdem mit, zwei präzisionsgesteuerte ukrainische Raketen seien mit Streumunition gespickt gewesen. Diese Raketen seien zwar durch die Flugabwehr abgeschossen worden, ihre Trümmer mit der Streumunition seien aber in das Stadtzentrum von Belgorod gefallen, teilte das Militär mit. Diese Angaben waren nicht sofort unabhängig überprüfbar. Streumunition sind kleinere Sprengsätze, die von einem größeren Geschoss freigesetzt werden und vor allem Fahrzeuge und Menschen treffen sollen.

Aus Kiew gab es bis Sonntagfrüh keine offizielle Stellungnahme. Das Nachrichtenportal „Ukrajinska Prawda“ schrieb lediglich unter Berufung auf eine anonyme ukrainische Geheimdienstquelle, dass die ukrainische Armee auf militärische Objekte der Russen gezielt habe. Zivilisten seien aufgrund „unprofessioneller Aktionen der russischen Luftverteidigung sowie bewusster und geplanter Provokationen“ zu Schaden gekommen.

Haftstrafen für mehr als 200 ukrainische Soldaten

Unterdessen teilte der russische Außenminister Sergej Lawrow mit, dass russische Gerichte seit Beginn der Militäroperation in der Ukraine mehr als 200 ukrainische Kämpfer zu Haftstrafen verurteilt hätten. „Die Gerichte der Russischen Föderation haben bereits mehr als 200 Vertreter ukrainischer bewaffneter Formationen zu langen Haftstrafen verurteilt, weil sie Gräueltaten begangen haben“, sagte Lawrow in einem Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti.

Russland hatte seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 begonnen und beschießt immer wieder auch zivile Ziele weit hinter der Front. Im vergangenen Winter waren vor allem Objekte der Energieversorgung Ziel russischer Angriffe. Experten warnen vor einer Wiederholung dieser Taktik in diesem Winter. Ziel Moskaus ist es, die Ukrainer in Kälte und Dunkelheit zu stürzen, um den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen.