Für Rishi Sunak kennt die „Freiheit der Post-Brexit-Ära“ buchstäblich keine Grenzen. Vom neuen Jahr an sollen britische Wein-Produzenten und Händler, so sie das wollen, ihren Rebensaft statt in den gewohnten Halb- oder Dreiviertel-Liter-Flaschen auch im Pint-Maß verkaufen dürfen. Statt einer Halbliter-Flasche Wein zum Beispiel würde ein Pint-Fläschchen 568ml enthalten – also ganz genau 68ml mehr.

Allen 900 britischen Weingütern, die im Jahr immerhin über 12 Millionen Liter Wein und Schampus produzieren, soll es fortan erlaubt ein, ihre Ware auch in Pint-Größe auf den Markt zu bringen. Innerhalb der EU wäre eine solche Abweichung von der Norm nie möglich gewesen, hat die Regierung dazu erklärt. „Bei unserem Austritt aus der EU ging es ja um genau solche Momente wie diesen“, meinte Wirtschafts-Staatssekretär Kevin Hollinrake in triumphaler Manier.

Absage von Produzenten und Händlern

Was Hollinrake dabei nicht erwähnte, war nur, dass es zu den Pint-Fläschchen sehr wahrscheinlich nie kommen wird in Großbritannen. Produzenten und Händler haben bereits deutlich gemacht, dass die Kosten dafür viel zu hoch wären und die entsprechenden Flaschen sich nicht ins Ausland verkaufen ließen. Selbst bei den heimischen Verbrauchern gebe es ja keinerlei Interesse an einer „verwirrenden“ Variante dieser Art.

Da hilft es auch nichts, dass der Kriegs-Premier Winston Churchill einmal verkündet hatte, er halte das Pint-Maß für die „ideale Größe“ bei Champagner-Flaschen, weil man davon sehr schön „zwei zum Mittagessen und eine zum Abendessen“ trinken könne, wenn einem danach sei. Und dass Boris Johnson viele Jahrzehnte später der Brexit-Kampagne zusätzlichen Aufschwung zu geben suchte, indem er seinen Landsleuten das Ende aller Metrik und die Rückkehr zu „alten Freiheiten“ auf der Insel versprach.

Denn es gehe nicht an, dass die Briten „gezwungen“ sein sollten, „napoleonische Maße“ zu benutzen, und sich derart „bevormunden“ lassen würden, fand Johnson. Auch von den „metrischen Märtyrern“ war damals immer wieder die Rede, die sich beharrlich geweigert hatten, ihre Bananen in Gramm zu verkaufen, und die man deshalb vor den Kadi zog.

Nur 1,3 Prozent sprechen sich für alte Maße aus

Allzu überwältigend scheint der britische Widerstandsgeist gegen die „aufgezwungenen“ Maße heutzutage aber nicht mehr zu sein. Bei einer regierungsamtlichen Befragung von rund 100.000 Konsumenten und Firmenbossen, deren Ergebnisse Premier Sunak jetzt vorliegen, ist nicht viel Enthusiasmus für die Rückkehr zu imperialen Maßen wie Unzen, englischen Pfunden, Pints oder Gallonen deutlich geworden. Letztlich sprachen sich nur 1,3 Prozent der Befragten dafür aus, dass solche Maße wieder eine größere Rolle spielen sollten im Land.

Tatsächlich waren diese Maße ja auch nie ganz verschwunden. Imperiale Maße dürfen vermerkt werden auf Waren, solange das metrische Maß etwas prominenter abgebildet ist. Wegstrecken werden bis heute in Meilen gemessen. Und ans traditionelle Pint-Glas für Bier aus dem Zapfhahn hatte auch die EU nie zu rühren gewagt.

Und die allermeisten, längst ans Dezimalsystem gewöhnten Briten sind durchaus froh darum, in ihrem Alltag keine komplizierten Umrechnungen „der alten Art“ mehr anstellen zu müssen. Immerhin enthält, was Gewichte angeht, ein „stone“ 14 englische Pfund und ein englisches Pfund 16 Unzen. Zwanzig flüssige Unzen summieren sich zu einem Pint und 160 zu einer Gallone. Beim Geld enthielt ein Pfund Sterling bis 1971 noch 20 Schillinge und ein Schilling 12 Pennies. Daneben gab es guineas, half-crowns, sixpences, florins und threepenny-bits.

Bevölkerung will Uhren nicht zurückdrehen

Offenbar gebe es in der Bevölkerung „keinen Appetit“ aufs Zurückdrehen der Uhren, haben jetzt, der Londoner Times zufolge, auch Sunak und seine Minister eingeräumt. In einer klitzekleinen Mitteilung bestätigte die Regierung so, während ihre Landsleute durch Weihnachten abgelenkt waren, dass es nun also keine Gesetzesinitiative zur Wiedereinführung imperialer Masse geben wird, wie beim Brexit noch vorgesehen.

An die große Glocke hängte sie dagegen die „Erlaubnis“ für die Wein-Produzenten, nach eigenem Gutdünken künftig Wein auch in Pint-Fläschchen zu verkaufen. Große Aufregung ausgelöst hat das bisher nirgendwo.