In gut einem Drittel der Länder der Erde stehen 2024 Urnengänge an. In einigen herrscht kaum Zweifel über den Ausgang. So müsste in Russland schon viel passieren, dass Wladimir Putin nicht seine fünfte Amtszeit als Präsident antritt, wenn im März gewählt wird. Dafür hat der Autokrat selbst gesorgt – oppositionelle Politik und unabhängige Berichterstattung sind de facto abgeschafft. Der Propagandamotor schnurrt. Allerdings weiß der Kremlchef, dass sein politisches Überleben nicht nur davon abhängt, wie fest er im eigenen Land im Sattel sitzt, sondern auch davon, wer im Westen die Zügel in der Hand hält. Eine Präsidentschaftswahl in den USA (am 5. November) kommt da gerade recht – vor allem, wenn ein aussichtsreicher Kandidat weder viel übrig hat für demokratische Werte noch für internationale Bündnisse, die sich den geopolitischen Interessen Russlands (vor allem in der Ukraine) entgegenstellen.
Déjà-vu
Schon bei den Wahlen 2016 gab es massive russische Einflussnahme, einige Drahtzieher stehen noch heute auf der Liste der meistgesuchten Verbrecher des FBI. Neben Hackerangriffen kam es zu einer Flut an Falschmeldungen, die via Social Media gezielt gestreut wurden – zumeist zu Gunsten Donald Trumps. Während der Kreml stets dementierte, sich einzumischen, fand der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, klare Worte: „Wir haben uns eingemischt, wir tun es und wir werden es weiter tun.“ Prigoschin gilt als Gründer der Trollfabrik „Interner Research Agency“, die Tausende Personen in mehreren Büros beschäftigte, um das Netz mit Fake News zu fluten. Nach einem Disput mit Putin ist Prigoschin inzwischen tot, aber die Propaganda geht weiter.
„Die Narrative bleiben die gleichen“, sagt Andre Wolf, Experte für Desinformation vom Faktencheck-Portal „Mimikama“. Trump werde sich kaum als Gegner Putins positionieren, dementsprechend könne man davon ausgehen, dass wieder massive Desinformationskampagnen laufen werden. David Jaklin, sicherheitspolitischer Analyst vom Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS), ortet in Russland „ein riesiges ‚Ökosystem‘, das sich aus staatlichen Nachrichtenmedien, News-Seiten, die den Nachrichtendiensten zugeordnet werden, Influencern und Podcasts und einem Netz aus Kanälen in den sozialen Medien, die interagieren und sich gegenseitig verstärken.“
Flut an KI-Fakes
Besorgniserregend dabei ist die steigende Automatisierung. Die Zahl von Websites, die von Künstlicher Intelligenz generierte Falschmeldungen verbreiten, ist laut einem Bericht von „NewsGuard“, einer Organisation, die Falschmeldungen auswertet, seit Mai um 1000 Prozent gestiegen. Laut Wolf geht es in solchen Meldungen gar nicht darum, jemanden von etwas zu überzeugen, sondern nur darum, Unruhe zu stiften, zu verwirren. Die schiere Masse mache es nun unmöglich, alle Falschmeldungen zu widerlegen. Zudem soll das bestehende parlamentarisch-demokratische System schlechtgemacht werden und Wut oder Irritation erzeugt werden, sagt Wolf. „Es heißt, ‚die da oben‘ wären alle korrupt und machen, was sie wollen. Das impliziert natürlich, dass ein anderes System kommen muss: der berühmte starke Mann, der alles regelt.“
In anderen Fällen soll die Stimmung zugunsten Russlands beeinflusst werden. Wolf erinnert an die Kampagne „geklonter“ Seiten bekannter deutscher Medien im Jahr 2022 (z. B. „bild.de“ oder „spiegel.de“). Mit erfundenen Horrormeldungen wurde Stimmung gegen die Russland-Sanktionen gemacht. Österreich blieb damals verschont, Wolf hält ein Comeback solcher Seiten im Vorfeld der österreichischen Nationalratswahlen im September, aber auch bei den EU-Wahlen im Juni, im größeren Stil für möglich. Speziell für Österreich hebt der Experte außerdem die Präsenz „alternativer Medien“ hervor, die hierzulande besonders stark seien und teilweise sogar staatliche Unterstützung genießen.
David Jaklin betont, dass man andere Fronten der internationalen Informationsschlacht nicht übersehen dürfe: „China fokussiert sich gerade sehr stark auf Taiwan.“ Und: „Der Iran macht mit Cyberaktionen im Nahen Osten momentan massiv Stimmung gegen Israel.“
„Wir sind eingeschlafen“
Auf EU-Ebene will man sich jedenfalls wappnen, die Kommission hat ein „Maßnahmenpaket zur Verteidigung der Demokratie“ aufgelegt, darin enthalten ist etwa die Offenlegung von Finanziers von Interessenvertretungen aus Drittstaaten. Doch laut dem Faktenchecker Andre Wolf ist auch jeder einzelne gefragt, Angriffen auf die Demokratie die Stirn zu bieten: „Das Problem ist, wir sind eingeschlafen und haben vergessen, was es bedeutet, in einer Demokratie zu leben – dafür muss man sich einsetzen, auch um unsere Freiheit zu schützen. Nur ein Kreuzerl zu machen, reicht nicht.“