Es ist ein anderes Weihnachten als sonst. Erstmals werden die Ukrainer heuer nicht mehr nach der Tradition der russisch-orthodoxen Kirche am 7. Jänner feiern, sondern bereits am 25. Dezember. Der Bruch mit der russischen Welt, die so viel Leid über die Ukraine gebracht hat, vollzieht sich auch hier, der berühmte Christbaum vor der Sophienkathedrale in Kiew wird bereits im Feiertagsrhythmus des gregorianischen Kalenders erleuchtet.

Abgesehen davon unterscheidet sich das zweite Kriegsweihnachten aber kaum vom ersten. Jeden Tag sterben an der Front junge Männer im Schützengraben, die ukrainischen Großstädte werden vom russischen Raketenterror heimgesucht, mit dem der Kriegsherr im Kreml hofft, die Zivilbevölkerung mürbezumachen. Und ebenso wie im vergangenen Jahr gibt es auch heuer kaum Aussicht darauf, dass der Krieg, der nur knapp 1500 Kilometer von unserer Haustür entfernt tobt, bald endet.

Denn ganz ähnlich wie in der Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas – dem zweiten Großkonflikt dieser Tage – fehlen auch im Ukraine-Krieg entscheidende Voraussetzungen für ein primär durch Verhandlungen erreichtes Friedensabkommen. Damit ein Krieg zu Ende geht, muss nämlich zumindest eine Seite ihre Minimalziele ändern, wozu derzeit niemand bereit scheint. Sowohl in Nahost als auch in der Ukraine sind derzeit alle Parteien davon überzeugt, ihre Interessen am Schlachtfeld besser durchsetzen zu können als am Verhandlungstisch.

Der Glaube, mit Panzern und Raketenwerfern mehr erreichen zu können als durch Diplomatie, ist aber nur ein Aspekt, der gegen rasche Friedensschlüsse spricht. In einer zunehmend multipolaren Welt mit einer weitgehend handlungsunfähigen UN gibt es in der Praxis auch keine übergeordnete Instanz, die dafür garantieren kann, dass nicht eine der Parteien ein ausgehandeltes Abkommen bald wieder bricht. Schon in der Vergangenheit – so hat der Konfliktforscher Hein Goemans herausgefunden – haben ähnlich gelagerte Konflikte daher besonders lange gedauert. Wenn das Vertrauen in die Pakttreue des Kriegsgegners fehlte, wurde in der Regel weitergekämpft.

Die Lösung dieses Problems ist schwierig. Im Zweiten Weltkrieg mit seiner ebenfalls weit in die Vergangenheit zurück reichenden Vorgeschichte konnte das Vertrauensdilemma etwa erst durch die umfassende Denazifizierung Deutschlands, die Änderung der deutschen Verfassung und die Teilung des vollständig besiegten Landes beseitigt werden.

Sowohl für den Nahen Osten, aber wohl noch mehr für die Ukraine verheißt das nichts Gutes. Solange in militärischer Hinsicht kein entscheidender Sieg gelingt, werden die Kämpfe weitergehen. Für die Ukraine bedeutet das aller Voraussicht nach einen vielleicht noch viele Jahre dauernden Abnutzungskrieg, für Israel einen von Terror- und Guerillaattacken geprägten Dauerkonflikt. Auf das heurige Kriegsweihnachten werden also wohl noch weitere folgen.