Die seit 2012 regierende Serbische Fortschrittspartei (SNS), an deren Spitze bis Mai Präsident Aleksandar Vučić stand, feiert einen klaren Wahlsieg bei der Parlamentswahl in Serbien. „Das ist ein klarer Sieg und das macht mich glücklich“, sagte Vučić am Sonntagabend. Nach Auszählung von 90 Prozent der abgegebenen Stimmen sahen die Belgrader Institute Cesid und Ipsos die SNS mit 46 Prozent der Stimmen als klar stärkste Kraft. Die Opposition erhob Vorwürfe wegen Wahlbetrugs.
Damit könnte die SNS mit einer knappen Mehrheit von 128 Mandaten in der 250-sitzigen Volksversammlung (Skupstina) allein regieren. An zweiter Stelle liegt die prowestliche Oppositionskoalition „Serbien gegen Gewalt“ (SPN) mit 24 Prozent bzw. 65 Mandaten. Dahinter folgen die Sozialisten von Außenminister Ivica Dačić mit 6,7 Prozent der Stimmen beziehungsweise 19 Mandaten. Den Sprung ins Parlament haben demnach auch zwei kleinere nationalistische Parteien mit 4,9 Prozent respektive 4,8 Prozent geschafft, was ihnen je 13 Mandate sichern wird. Die Wahlbeteiligung soll bei rund 60 Prozent gelegen sein.
„Es war mein Job, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um eine absolute Mehrheit im Parlament zu sichern“, sagte Vučić in der Hauptstadt Belgrad. Er sei „sehr stolz“ auf den Wahlkampf. Sollte sich das Resultat bestätigen, würde die regierende SNS gestärkt aus der Wahl hervorgehen. Bisher verfügte sie über 120 der insgesamt 250 Mandate und war auf einen Koalitionspartner angewiesen.
Neue Liste entschied Rennen
Bei den gleichzeitig abgehaltenen Kommunalwahlen in der Hauptstadt Belgrad zeichnete sich in der Wahlnacht eine Pattsituation ab. Weder SNS noch SPN dürften in der Stadtversammlung, die den Bürgermeister wählt, eine Mehrheit haben. Zünglein an der Waage ist die neue Liste des Arztes und Rechtspopulisten Branimir Nestorović, die mit 5 Prozent der Stimmen überraschend auch den Einzug ins Landesparlament schaffte. Vučić hingegen ging von einem Sieg der SNS auch in der nordserbischen Provinz Vojvodina und in Belgrad aus.
In seiner, dieses Mal nicht euphorisch klingenden Ansprache im SNS-Sitz in Belgrad erklärte Vučić auch, dass Serbien „seinen europäischen Weg“ werde fortsetze müssen. Ein offizielles Ergebnis wurde erst für Montagabend erwartet.
Die SNS war trotz der hohen Inflation und monatelanger Massenproteste in Serbien als Favoritin in die Wahl gegangen. Vučić ist seit Mai formell nicht mehr SNS-Vorsitzender, bestimmt aber weiterhin die Geschicke der Partei. Im Wahlkampf brachte er sich massiv ein. Die SNS stand als Liste mit dem Namen „Aleksandar Vučić – Serbien darf nicht stehenbleiben“ auf den Wahlzetteln.
450 Verstöße gegen Wahlordnung
Opposition und Wahlforscher warfen der Regierungspartei rund 450 Verstöße gegen die Wahlordnung vor. Unter anderem seien Stimmen gekauft und Menschen aus dem serbischen Teil Bosniens in Bussen nach Belgrad gebracht worden, um dort zur Wahl zu gehen. Wahlbeobachter des Zentrums für Forschung, Transparenz und Verantwortung (CRTA) erklärten, in der Stadt Odžaci im Nordosten angegriffen worden zu sein, „nachdem ein Fall von Wahlbetrug registriert“ worden sei. Dabei seien Dutzende Stimmzettel aus Parteibüros ins gegenüberliegende Wahllokal gebracht worden. Eine Person sei im Zusammenhang mit dem Vorfall festgenommen worden, teilte die Polizei mit.
„Serbien gegen Gewalt“ beschuldigte die Regierungspartei des Wahlbetrugs und kündigte eine Beschwerde bei der staatlichen Wahlkommission an. „Wir sind Zeugen eines ernsthaften Versuchs geworden, die Wahlen zu stehlen“, sagte Miroslav Aleksić, einer der Vorsitzenden der Partei. Oppositionsführer Radomir Lazović beklagte „eine Menge Unregelmäßigkeiten“ während der Wahl. Er sprach von „Stimmenkauf“ und gefälschten Unterschriften. Der Südosteuropa-Experte vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip), Vedran Džihić, betonte auf X (Twitter): „Faire Chancen hatte die Opposition nicht, Wahlen waren nicht frei. Serbien ist/bleibt ein kompetitiv autoritäres Regime.“
Die amtierende Ministerpräsidentin Ana Brnabić dagegen bezeichnete Wahlbeobachter und Medien, die über Unregelmäßigkeiten beim Urnengang berichtet hatten, als „Lügner“, welche darauf abzielten, „Panik und Chaos“ zu stiften.
Größte Konkurrenz für Vučićs Partei war das lose Oppositionsbündnis Serbien gegen Gewalt. Die Bewegung war aus den Massenprotesten nach zwei Schusswaffenangriffen im Frühjahr mit insgesamt 18 Toten hervorgegangen. Die Demonstranten warfen der Regierung vor, auch mithilfe der von ihr kontrollierten Medien eine Kultur der Gewalt zu fördern. Die Proteste richteten sich zunehmend gegen die Regierungspolitik insgesamt.
Neuwahl selbst ausgerufen
Vučić hatte die Neuwahl des Parlaments selbst ausgerufen. Seit seinem ersten Amtsantritt im Jahr 2014 – damals noch als Ministerpräsident – halten Regierungskabinette in Serbien kaum bis zum Ende einer Legislaturperiode. Kritiker sehen das als Manöver, um die Opposition zu behindern.
Die Neuwahl wurde aber auch im Zusammenhang mit den jüngsten Spannungen mit dem südlichen Nachbarn Kosovo gesehen, einer ehemaligen Provinz, deren 2008 ausgerufene Unabhängigkeit Serbien nicht anerkennt. Die EU hat gefordert, dass beide Länder ihre Beziehungen normalisieren müssen, wenn sie der EU beitreten wollen. Der Schritt zu vorgezogenen Neuwahlen wurde daher so interpretiert, dass Vučić nun eine neue Linie setzen kann: Einerseits muss er Rücksicht auf serbische Nationalisten nehmen, andererseits wird ihm vorgeworfen, die Stimmung gegen den Kosovo selbst mit anzuheizen.
Die EU dringt zudem darauf, dass Serbien sich den westlichen Sanktionen gegen Russland anschließt. Darüber hinaus soll das Land Korruption und organisiertes Verbrechen bekämpfen, die Wirtschaft reformieren, das Justizwesen und das Geschäftsklima sowie die Menschenrechtslage verbessern.