Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich nicht auf zusätzliche Mittel für die Ukraine verständigen können, nachdem Ungarn eine Einigung blockiert hat. Das erklärte EU-Ratspräsident Charles Michel in der Nacht auf Freitag in Brüssel. Nun wolle man bei einem Sondergipfel im Jänner weiter über eine Aufstockung des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFF) verhandeln.
26 EU-Mitgliedstaaten seien sich im Grundsatz einig bei der Aufstockung des mehrjährigen EU-Budgets - darin enthalten seien unter anderem 50 Mrd. Euro zur Unterstützung der Ukraine, so Michel. Michel nannte Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban nicht direkt als den Staatschef, der eine Einigung blockiert habe. Diese bekannte sich aber selbst auf X (ehemals Twitter) dazu.
Beitrittsgespräche mit Ukraine und Moldau
Beinahe machte Ungarns Premier Viktor Orbán dem Rest der EU einen Strich durch die Rechnung. Vor allem aus geopolitischen Gründen hatten die EU-Spitze und im Grunde alle anderen EU-Mitgliedsländer geplant, am derzeit stattfindenden Dezember-Gipfel den von der Kommission empfohlenen Beginn der Beitrittsgespräche mit der Ukraine und mit Moldau zu beschließen – als Signal an Kiew und damit auch an Moskau. Orbán hatte sich bis zuletzt dagegen ausgesprochen, das Land sei noch nicht so weit und man dürfe nichts übereilen. Und bis zuletzt versuchten alle, Orbán zum Einlenken zu bewegen. Es gab Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, am Vorabend mit Ratspräsident Charles Michel und selbst unmittelbar vor Beginn des Gipfels saßen die EU-Spitzen sowie Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz mit dem Ungarn zum Frühstück beisammen.
Denkzettel zum Thema
Die Bemühungen haben sich offensichtlich gelohnt. Kurz vor dem Abendessen der Staats- und Regierungschefs (es gab Breton Medaillon, Seezunge mit Wurzelgemüse und Panettone) kam die Meldung vom Durchbruch: Der Gipfel beschloss den offiziellen Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und mit Moldau, im selben Atemzug bekam Georgien den Kandidatenstatus zugesprochen. Einen, wenn auch kleinen, Schritt weiter ist auch Bosnien-Herzegowina: Das Balkanland, besonders von Österreich immer wieder aktiv ins Spiel gebracht, ist seit einem Jahr offizielles „EU-Kandidatenland“ und wartet ebenfalls auf den Beginn der Verhandlungen. Der Gipfel hielt in seiner Schlusserklärung deutlicher als ursprünglich vorgesehen fest, dass es in dem Augenblick, in dem die Voraussetzungen erfüllt werden, soweit sein wird. Die Kommission soll darüber bis zum März-Gipfel einen Bericht abgeben.
Dank von Selenskyj
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der zu Beginn des Gipfels per Video zugeschaltet war und dann wenig später für Aufsehen sorgte, als er offensichtlich für einen Kurzbesuch ins deutsche Wiesbaden kam, dankte „jedem, der daran gearbeitet hat, dass dies gelingt und der geholfen hat. Ich gratuliere jedem Ukrainer an diesem Tag“. Er gratulierte ebenfalls Moldau und deren Präsidentin Maia Sandu. „Geschichte wird von denen gemacht, die nicht aufhören, für Freiheit zu kämpfen.“ EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete die Aufnahme der Gespräche als „strategische Entscheidung“: „Dieser Tag wird in die Geschichte der Union eingehen. Wir sind stolz, dass wir unsere Versprechen einhalten und freuen uns für unsere Partner.“
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Orban verließ Raum
Für den Beschluss war offensichtlich eine kreative Lösung nötig. Die Entscheidung im Europäischen Rat sei ohne Gegenstimme gefällt worden, teilte Präsident Michel mit. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán nannte einen EU-Beitritt der Ukraine eine „schlechte Entscheidung“, an der Ungarn nicht teilnehmen wolle, schrieb er fast zur selben Zeit auf Facebook. Und wie kam es dann zum Beschluss? Laut EU-Diplomaten hatte Orbán zum Zeitpunkt der Abstimmung den Raum nach vorheriger Vereinbarung in „konstruktiver Art und Weise“ verlassen. Die Entscheidungen im Europäischen Rat müssen ohne Gegenstimme getroffen werden. Demnach dürfte Orbán sich auf diese Weise der Stimme enthalten, gleichzeitig aber einen einstimmigen Beschluss ermöglicht haben. Formal kann es nun einige Wochen dauern, bis tatsächlich der Prozess in Gang gesetzt wird.
Nach dem Abendessen ging es schließlich mit einem weiteren heiklen Punkt weiter, der davor wegen der Klärung technischer Details unterbrochen worden war: Dabei geht es um die Revision des mehrjährigen Finanzrahmens, für den die Kommission angesichts neuer Aufgaben 66 Milliarden Euro mehr gefordert hatte. Dieses Thema ist auch eng mit der Finanzhilfe für die Ukraine verknüpft. Hier hieß es in den Abendstunden, es sei mit den EU-Ländern eine Adaptierung auf dem Weg, ein Ergebnis stand zunächst aber noch aus. Fix hingegen ist das vom Gipfel angenommene 12. Sanktionspaket. Österreich habe seinen „Prüfvorbehalt“ zurückgezogen, und den Schlussfolgerungen zugestimmt.
Die EU-Botschafter konnten sich zuerst wegen Österreich nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Österreich hätte das Paket nicht blockiert, es hatte einen „Prüfvorbehalt“ angemeldet, hieß es dazu aus EU-Beamtenkreisen. Dies bedeute, dass eine juristische Prüfung durch das Außenministerium und das Bundeskanzleramt erfolge, bevor zugestimmt werde. Das Paket soll weitere Aus- und Einfuhrverbote für Güter enthalten und weitere Personen und Unternehmen auf die Sanktionsliste setzen. Auch ein Importverbot für Diamanten aus Russland dürfte enthalten sein.