Es klang wie eine Ouvertüre. Zunächst wurde bekannt, dass sich Angela Merkel aus der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zurückzieht. Die Denkfabrik ist der Partei häufig voraus. Das zeigt sich auch an der Wahl ihres Vorsitzenden: Norbert Lammert, früherer Bundestagspräsident und nicht nur an der Spitze des Parlaments ein eigenwilliger Kopf. Nun aber ließ Merkel die Stiftung wissen, sie sei als Mitglied „aus der Rolle hinausgewachsen“. Die ehemalige Kanzlerin emanzipiert sich von der Union.

Neues Grundsatzprogramm als Abrechnung

So ließ sich das zunächst deuten. Zu Wochenbeginn aber änderte sich die Richtung. Die CDU ging auf Distanz zur ehemaligen Vorsitzenden und Kanzlerin. Und zwar öffentlich und auf 73 Seiten. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann stellte in Berlin das neue Grundsatzprogramm der Partei vor. Linnemann hatte es in den vergangenen beiden Jahren als Vorsitzender der Programmkommission selbst wesentlich mit vorangetrieben und in vielen Regionalkonferenzen in die Partei hineingehört. Ein seltener Moment der Basisbindung in der führungszentrierten Union. Nun präsentierte Linnemann nicht nur den Programmentwurf, sondern auch eine zentrale Mitteilung:. „Die CDU ist wieder regierungsfähig. Sollte es zur vorgezogenen Bundestagswahl kommen, wären wir bereit.“

Die Union ist bereit. Nicht nur, um die Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sondern auch, um sich von Angela Merkel zu lösen. „In Freiheit leben – Deutschland sicher in die Zukunft führen“, lautet der Titel des Entwurfs. Er liest sich wie eine kleine Abrechnung mit der Union in der Ära Merkel. Die CDU bekennt sich zum Grundrecht auf Asyl, heißt es im Programm. Dann aber kommt der Vorschlag, Asylverfahren grundsätzlich in Drittstaaten durchzuführen. Ruanda-Modell heißt das in Großbritannien.

Ein Bild aus besseren Zeiten: Angela Merkel jubelt mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz nach ihrer Wahl zur neuen CDU-Vorsitzenden auf einem CDU-Parteitag in der westdeutschen Stadt Essen im Jahr 2000
Ein Bild aus besseren Zeiten: Angela Merkel jubelt mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz nach ihrer Wahl zur neuen CDU-Vorsitzenden auf einem CDU-Parteitag in der westdeutschen Stadt Essen im Jahr 2000 © AFP / Michael Jung

Schluss mit Atomausstieg

Die CDU rückt nach rechts und distanziert sich von Merkel. Der Abschied gilt nicht nur für die Willkommenskultur. „Wir setzen bei der Gesamtenergieversorgung von morgen auf Technologieoffenheit in Anwendung und Forschung“, heißt es im Programmentwurf leicht wolkig zum Thema Energie. Ein paar Zeilen weiter wird klar, was damit gemeint ist: Atomkraftwerke der „vierten und fünften Generation“. Schluss also auch mit dem Atomausstieg, den Merkel 2011 nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima vollzogen hat.

Auch die Leitkultur ist zurück im CDU-Programm. „Nur wer sich zu unserer Leitkultur bekennt, kann sich integrieren und deutscher Staatsbürger werden“, heißt es im Entwurf.

Der Entwurf des neuen CDU-Grundsatzprogramms liest sich wie eine kleine Abrechnung mit der Union in der Ära Merkel
Der Entwurf des neuen CDU-Grundsatzprogramms liest sich wie eine kleine Abrechnung mit der Union in der Ära Merkel © Imago

Merz und der Osten

Die Leitkultur ist eine Lieblingsvokabel des neuen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz. Er hatte ihn 2000 in die politische Debatte in Deutschland eingeführt. Nun, 23 Jahre und drei CDU-Vorsitzende später, findet er sich im Entwurf für das neue Grundsatzprogramm der Union. Noch muss das Papier auf einem Parteitag im Mai 2024 besiegelt werden. Aber die Botschaft ist schon jetzt klar: Merz statt Merkel.

Die CDU öffnet sich nach dem Debakel bei der Bundestagswahl nach rechts. Doch ist offen, ob die Botschaft im Osten auch zieht. In Sachsen liegt die AfD in Umfragen gleich auf mit der Union, in Thüringen und Brandenburg ist die in Teilen rechtsextreme Partei gar stärkste Kraft. Die CDU schärft unter Friedrich Merz ihr rechtes Profil. Aber in der Wählerschaft im Osten ist das noch nicht angekommen. In Thüringen stimmte die Union gemeinsam mit FDP mehrfach mit der AfD – für Steuersenkungen und gegen Windkraft. Angela Merkel jedenfalls hatte das Experiment eines von der AfD gewählten Ministerpräsidenten in Thüringen 2020 mit einem Satz beendet. Nun stellt sich die Frage: Wie fest steht die Brandmauer im Osten?

Die wahre Debatte steht der Union in der Ära nach Merkel also erst nach den Landtagswahlen im neuen Jahr noch bevor.

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